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Einer muß den Testpiloten machen

Heute beginnt in Magdeburg der Bundesparteitag der PDS. Pünktlich entfachte Roland Claus, Vorsitzender von Sachsen-Anhalt, eine Debatte über mögliche Koalitionen mit der SPD. Gregor Gysi denkt schon weiter  ■ Von Christoph Seils

Der Empfang von Roland Claus im Parteivorstand der PDS war herzlich. „Na, du Testpilot“, begrüßte ihn der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Gehrcke und schloß ihn mit einem kräftigen Schulterklopfen in die Arme. Der Testpilot ist Landesvorsitzender der PDS in Sachsen-Anhalt und hat pünktlich zum PDS-Bundesparteitag, der ab heute abend in Magdeburg stattfindet, seine Thesen über die Zukunft der PDS in die Öffentlichkeit lanciert. Die PDS müsse in Sachsen-Anhalt nach den nächsten Wahlen 1998 und unter bestimmten Bedingungen Regierungsverantwortung übernehmen. Letztendlich plädiert Claus dafür, der SPD hierfür ein „Koalitionsangebot“ machen.

Dabei hatten es sich die PDS- Strategen so schön gedacht. Erstmals wurde der Parteitag aus der geliebten Hochburg Berlin heraus in die ostdeutsche Provinz verlegt. Nach den turbulenten Debatten des letzten Parteitages wurde die Fortsetzung der „Strategiedebatte“ mit Reizthemen wie dem „Stalinismus“, dem „Abschied vom Klassenkampf“ oder einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ von der Tagesordnung abgesetzt.

Unter dem Motto „Kommunen stärken – Gesellschaft verändern“ wurde mit dem Schwerpunkt PDS- Kommunalpolitik ein Thema gewählt, das sich eigentlich nicht für ideologische Grabenkämpfe eignet. Auch im Leitantrag des Bundesvorstandes, der die „politischen Aufgaben der PDS“ bis zu den Bundestagswahlen 1998 festlegen soll, wurde fast alles ausgeklammert, was nach Streit riecht. Nur ganz allgemein steht dort, politisches Ziel der PDS sei es, „die konservative Hegemonie in der Gesellschaft zurückzudrängen und zu überwinden“. Hierzu will sie „Gemeinsamkeiten mit anderen Kräften, Bewegungen und Parteien“ suchen.

Als verläßliche ostdeutsche Interessenvertretung wollen sich die Genossen in Magdeburg präsentieren und so ihre „Aktions- und Politikfähigkeit“ unter Beweis stellen. Zu diesem Zweck wurden mit dem sozialdemokratischen Kultusminister Karl-Heinz Reck und der bündnisgrünen Umweltministerin Heidrun Heidecke zwei Vertreter der Landesregierung als Gäste eingeladen, der die PDS- Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt seit eineinhalb Jahren zu einer stabilen Parlamentsmehrheit verhilft. Auf den Fluren des Magdeburger Parteitages allerdings wird das Für und Wider von Regierungsbeteiligungen wohl das Hauptthema sein.

Natürlich meldete sich nach dem Vorstoß von Roland Claus sofort das in Arbeitsgemeinschaften, Foren und Plattformen organisierte parteiinterne Liniengericht zu Wort.

Das von dem PDS-Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer gegründete Marxistische Forum verabschiedete sogleich eine sechsseitige Erklärung, in der eindringlich vor den „Verlockungen des parlamentarischen Systems“ gewarnt wird. „Wir haben“, so klagt Heuer, „eine Reihe von Leuten in der Partei, die nicht mehr von der Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft ausgehen.“ Auch Angela Marquardt tritt den Überlegungen von Roland Claus „ohne Wenn und Aber“ entgegen. „Gesellschaftsanalyse“, so die Vorzeigerebellin im Range einer stellvertretenden Parteivorsitzenden, „darf sich nicht auf Kritik der Bundesregierung beschränken.“ Kernfragen seien „das gesellschaftliche System, die Produktionsverhältnisse, eben die kapitalistische Marktwirtschaft“. Und wo, bitte, habe die PDS in Magdeburg die Systemgrenzen angetastet, will sie wissen, schließlich sei dies ja wohl das Ziel sozialistischer Politik.

Für den PDS-Vordenker André Brie kommt die Debatte um Regierungsbeteiligungen aus einem anderen Grund viel zu früh. Der PDS werde kaum Kompetenz zur Lösung politischer Sachfragen zugesprochen. Ihr fehle, so Brie, ein klares linkssozialistisches Profil, und sie sei somit „zur Zeit noch nicht koalitionsfähig“.

„Eine Regierungsbeteiligung ist keine aktuelle Frage“, versucht auch Lothar Bisky allen hektischen Debatten im Vorfeld des Parteitages entgegenzutreten. Kurz vor Weihnachten hieß es beim Bundesvorsitzenden noch anders: „Auf Dauer werden wir uns vor der Übernahme von Regierungsverantwortung nicht drücken können.“ Roland Claus wiederum will sich nicht in den „Grenzen von SPD-Zugeständnissen bewegen“, sondern selbst zum Trendsetter werden. „Wenn wir PDS-Politik konsequent so weiterbetreiben wie jetzt“, so schreibt Claus, „kommen wir an einem Koalitionsangebot nicht vorbei.“

Während in der Berliner Parteizentrale Grundsätzliches diskutiert wird, bestimmen die ostdeutschen Landesverbände der PDS das Marschtempo bei dem Weg der Partei von der Systemopposition zur Regierung im Wartestand. Unterstützung bekam Claus zugleich von Helmut Holter. Der Landesvorsitzende der PDS in Mecklenburg-Vorpommern strebt in seinem Bundesland gemeinsam mit der SPD 1998 den „Machtwechsel“ an. Auch die thüringische Landesvorsitzende Gabriele Zimmer begrüßte die von Claus angeschobene Diskussion, auch wenn sich die PDS in ihrem Bundesland zunächst nur die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung vorstellen könne. Zwei Drittel der PDS-Mitglieder, so schätzt Gregor Gysi, würden eine PDS-Regierungsbeteiligung befürworten, wenn sich die Möglichkeit einer Mehrheit links von Union und FDP ergäbe. Helmut Holter verweist darauf, daß es in dem nordöstlichsten Bundesland laut Umfragen über 90 Prozent der PDS-Wähler seien. Außer bei „ein paar Jugendlichen in Rostock“ rechnet Holter in seinem Landesverband mit keinem Widerspruch.

Gregor Gysi denkt sogar schon einen Schritt weiter. Die PDS habe einen „beachtlichen Fundus“ an Politikern, die in der Lage seien, Ministerposten auszufüllen, betonte der Vorsitzende der PDS- Bundestagsgruppe in einem Rundfunkinterview.

Ärger könnte es auf dem Parteitag in Magdeburg um einen Brief geben, den der Münchner PDS- Bundestagsabgeordnete Heinrich Graf von Einsiedel an den Bundesvorstand sowie seine Parlamentskollegen schrieb. Einsiedel warnt darin vor der Unterwanderung der westdeutschen Landesverbände, vor allem in Bayern, durch „parteifeindliche Kräfte“, die die PDS „in irgendeine Art von kommunistischer Partei zurückverwandeln wollen“. Einsiedel fordert seine Partei auf, allen kommunistischen Unterwanderungsversuchen eine „klare Absage“ zu erteilen: „Es ist eine Überlebensfrage der PDS, ob sie sich von dem Verdacht befreien kann, eine nur getarnte kommunistische Partei zu sein.“

Daß man die Systemfrage notfalls auch an der Kommunalpolitik diskutieren kann, beweist die AG Junge GenossInnen. Sie will in einem Antrag alle Kommunalpolitiker der PDS auf das Parteiprogramm verpflichten. Ginge es nach ihr, dürfte sich die PDS-Kommunalpolitik nicht ökonomischen und politischen Sachzwängen unterordnen und dürfte es keine Widersprüche zwischen kommunalen Entscheidungen und programmatischen Positionen der PDS geben. Das wird auch Zeit, schließlich hat Angela Marquardt auf dem letzten Bundeskongreß der AG Junge GenossInnen die PDS- Kommunalpolitik als „Einfallstor der Reaktion in die Partei“, entlarvt.

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