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■ Hat Oskar Lafontaine ein Verhältnis mit Gregor Gysi und die PDS eines mit der SPD? Will die PDS regieren oder nicht?Die Tür ist offen, alles andere auch

Gregor Gysi spielt wie immer virtuos auf dem Medienklavier. Eben noch verneinte er die Nützlichkeit von PDS-Beteiligungen an Regierungskoalitionen, nun befürwortet er sie. Die Medien spielen mit. Nichts dagegen zu sagen. Die Kommunistische Plattform und die AG Junge GenossInnen zimmern am Widerstand gegen den Kurswechsel. Auch sie finden Gehör in den Zeitungen von Welt bis Neues Deutschland. Besser ließe sich eine PR-Strategie nicht praktizieren, nur: Es gibt in der PDS keine solche PR-Strategie.

Die Debatten um Koalitionen im besonderen und das Verhältnis zwischen PDS und SPD im allgemeinen sind ein attraktiver Stoff für die Medien, sie haben nur einen Nachteil: Sofern es in ihnen um rot-rötere Zusammenarbeit oder gar Koalitionen geht, entbehren sie jedes aktuellen Realismus.

Richtig ist, daß seit den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt eine Bewegung in das SPD-PDS-Verhältnis gekommen ist, die noch im Mai 1994 illusionär erschienen wäre. Sieht man von Sachsen-Anhalt und einigen Kommunen ab, sind alle Formen echter Zusammenarbeit gegenwärtig nicht aktuell. Es geht bisher lediglich um eine Normalisierung politischer Kontakte. Die ist angesichts der beiderseitigen Geschichte und der Verantwortung der SED für die Verfolgung von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR schwierig, aber ein eher normales Erfordernis politischer Kultur, wie es in vielen westeuropäischen Staaten gang und gäbe ist.

Ihre Brisanz ist dennoch aus zumindest zwei Gründen nicht nur geschichtlicher Natur. Erstens wird damit die Position der SPD gegenüber der CDU gestärkt (ob die SPD-Position in der politischen Landschaft der BRD stärker wird, ist angesichts des fortwirkenden extremen westdeutschen Antikommunismus und Antisozialismus offen). Zweitens geht es zur Zeit zwar in keiner Weise um Koalitionen, aber die Beendigung der PDS-Isolation bedeutet, daß die bisher parlamentarisch-machtpolitisch brachliegenden zwanzig und mehr Prozent der PDS im Osten und fünf Prozent auf Bundesebene perspektivisch für Alternativen gegen den konservativ-neoliberalen Regierungsblock erschlossen werden könnten.

Die Unmöglichkeit ist beseitigt worden (meiner Meinung nach unumkehrbar), und es ist eine Möglichkeit enstanden. Mehr nicht, und worin diese Möglichkeit besteht, ist völlig unklar. Offen ist ja nicht nur, wieweit die gerade erst begonnene Normalisierung zwischen beiden Parteien (oder auch zwischen PDS und Bündnis 90/Die Grünen) gehen wird, sondern auch welchen Inhalt sie bekommen soll. Das ist auch das entscheidende Problem der PDS und aller ihrer bisherigen Diskussionen, gleich aus welcher Richtung. Wenn ich in den vergangenen Wochen die eher geringe Politikfähigkeit der PDS beklagt habe, so meinte ich damit gar nicht so sehr, daß die PDS nicht realistische politische Konzepte für wichtige politische Fragen hätte oder es ihr gar an kompetenten Persönlichkeiten mangelte. In dieser Hinsicht kann es vielerorts nicht schlechter, sondern nur besser werden.

Aber zum einen hat es die PDS bisher unterlassen, einen Diskussionsprozeß über ihr parlamentarisch-politisches Verständnis zu führen. Der Bundesparteitag im Januar 1995 hat dazu – jeweils mit großer Mehrheit – zwei tendenziell gegensätzliche Positionen beschlossen. Eine Klärung wird seitdem von niemandem betrieben. Zum anderen sind die politischen Forderungen der PDS im einzelnen weitaus realistischer, differenzierter (und durchaus finanzierbar), als gemeinhin behauptet, aber sie stehen (wie im Prinzip übrigens auch die Einzelforderungen in den Wahlprogrammen der SPD und der Grünen) jeweils nebeneinander. Ihre Wechselbeziehungen, ihre sich zum Teil ausschließenden Konsequenzen sind nicht ausreichend beachtet.

Anders gesagt: Es gibt bisher von keiner Seite eine konkrete politische Vorstellung für ein gesellschaftliches Reformprojekt, das einer Zusammenarbeit auch dann zugrunde liegen müßte, wenn nur die ersten Schritte zu einer Verwirklichung gegangen werden können. Ansonsten würden die notwendigen Kompromisse für alle Seiten unerträglichen Charakter annehmen: Ich gebe dir 1.000 Lehrerinnen- und Lehrerstellen und du mir dafür den Transrapid...

Von keiner Partei kann und darf verlangt werden, daß sie in derartiger Zusammenarbeit und in Koalitionen ihr Profil und ihre gesellschaftspolitischen Ziele verleugnen, ihre wesentlichen politischen Grundsätze aufgeben müßte. In der PDS sind diese unaufgebbaren Prinzipien und Inhalte bisher nicht ausdiskutiert und entschieden worden. Ungeklärt ist auch die Frage, wie sie sich zu den unweigerlichen Konsequenzen/Kompromissen einer Zusammenarbeit mit der SPD und den Bündnisgrünen verhalten würde. Ist denn jede Regierungsbeteiligung tatsächlich die Abkehr von alternativen gesellschaftlichen Zielen? Oder ist vielleicht die Verweigerung Ausdruck unveränderter Mißachtung parlamentarischer Demokratie? Die PDS sieht einer erfolgreichen Kontroverse entgegen.

Umgekehrt sehe ich zumindest bei der SPD gegenwärtig auch keine ausreichende Basis für eine reformorientierte Zusammenarbeit mit der PDS. Die SPD hat in den vergangenen sechs Jahren nahezu jede jener Entscheidungen mit getragen, die in der deutschen Einigung, in der Sozial-, Asyl- oder Militärpolitik zur Ausprägung von konservativ-neoliberalen Tendenzen geführt haben.

In den ostdeutschen Ländern ist eine (linke) Reformmehrheit ohne PDS auf absehbare Zeit undenkbar. Auf Bundesebene werden die fünf Prozent der PDS auch nicht weiter mißachtet werden können. Damit aus Rechenspielen aber Politik werden kann, sind zumindest zwei Hindernisse zu überwinden: Zum einen muß die Diskussion über die Verhältnisse von PDS, SPD und Bündnis 90/Die Grünen von der unfruchtbaren Frage „Wer mit wem?“ zu den politischen Inhalten von Gemeinsamkeiten und Differenzen hingeführt werden. Zum anderen geht es darum, für eine gesellschaftliche Reformpolitik das geistig-kulturelle Klima zu schaffen, zumindest die gegenwärtig fast uneingeschränkt dominierende konservative Hegemonie aufzubrechen, die bis in die SPD, die Bündnisgrünen und die PDS hineinwirkt. Ein echter politischer – inhaltlicher – Diskurs dieser drei Parteien miteinander wäre dafür unerläßlich. André Brie

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