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Sanfter Prozeß der Akzeptanz?

■ Homosexualität und „wilde“ Ehen bleiben Reizthemen in der Basis der nordelbischen Kirche vor der Sondersynode im März Von Rainer Schäfer

In den Gemeinden der nordelbischen Kirche wird wieder heftig über „Lebensformen“ debattiert: Im Mittelpunkt der Diskussion stehen vor allem Homosexualität und „wilde“ Ehen. Elisabeth Lingner, Präsidentin der Synode (das Kirchenparlament) der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, hatte im September in Hamburg öffentlich über dieses Tabu nachgedacht und sich prompt den Zorn des konservativen Teils der Kirchenführung zugezogen.

Dürfen schwule oder lesbische Pastoren und Pastorinnen mit ihren Lebensgefährten im Pfarrhaus zusammenleben? Darf eine Pröpstin ohne Trauschein in „wilder“ Ehe mit ihrem Lebenspartner zusammenwohnen? Die Herbstsynode ging im Unfrieden auseinander, das unangenehme Thema soll nun an der Basis weiterdiskutiert und auf einer Sondersynode am 22. und 23. März neu verhandelt werden.

Eine „erstaunliche Entwicklung“ habe es gegeben, seit die Diskussion in Nordelbien im Gange sei, sagt nun Pastor Dr. Horst Gorski von der Martin-Luther-Kirche in Iserbrook: „Die Mehrheit der Kirchenmitglieder stellt sich mittlerweile der Problematik.“ Höchste Zeit, schließlich sollen allein in Hamburg mindestens zehn Prozent aller Pastoren und Pastorinnen homosexuell sein. In Gorskis Gemeinde ist es längst Konsens, daß die Heterogemeinschaft nicht die einzige Form der Erfüllung sein muß. Die Praxis, so Gorski, mit alternativen Partnerschaften in der nordelbischen Kirche sei liberal. Aber es fehle jegliche Rechtssicherheit. Daß auf der Synode Beschlüsse mit normativer Kraft gefällt werden, glaubt er jedoch nicht: „Dafür sind die Fraktionen immer noch zu weit auseinander.“ Es sei eher ein sanfter Prozeß, der anderen Lebensentwürfen Akzeptanz verschaffe.

Ginge es nach Pastor Helge Adolphsen von der Hauptkirche St. Michaelis, sollte dieser Prozeß bald abgeschlossen werden. Aber möglichst unauffällig und lautlos. „Unsere Gemeinde hat keine Probleme mit diesen Lebensformen. Sie werden toleriert.“ Aufsehen erregten Adolphsen und eine Kleingruppe von 16 Protestanten mit ihrem „Brief engagierter Hamburger“. Darin hieß es, die Kirche habe andere Sorgen als dieses leidige Dauerthema. „Das kostet viel Geld und ist für die Katz“, glaubt Adolphsen. Die öffentliche Debatte schade der Kirche. Wichtiger sei die Besinnung auf strukturelle Kirchenfragen, wie die geringer ausfallenden Kirchensteuern.

Eine pragmatische Haltung, die in den nordelbischen Gemeinden momentan häufig vertreten wird. „Leider“, sagt Pastor Ulrich Rüß in Eppendorf, sehe es so aus, daß „eheähnliche, homosexuelle oder lesbische Lebensformen“ toleriert werden. Rüß zählt zu einer kleinen, fundamentalistischen Fraktion, die sich hartnäckig der angedachten Neuerung verschließt. Man müsse erwarten können, daß das Wohl der Kirche Vorrang habe vor individuellen Angelegenheiten.

Und Homosexualität ist eine solche in der Diktion dieser Fraktion, die als „erstarrt“ gilt: „Wer seine homosexuellen Neigungen nicht zurückstellen kann, ist in der Kirche fehl am Platz“, beharrt Pastor Rüß auf seiner dogmatischen Position. Es gehe überhaupt nicht darum, Homosexuelle ausgrenzen zu wollen. Auch diese wären in der Nordelbischen Kirche willkommen: als Rat- und Hilfesuchende.

Diese Form der Barmherzigkeit ist den fortschrittlichen Kräften in Nordelbien, zu denen neben Synodalpräsidentin Elisabeth Lingner auch die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen zählt, zu wenig. „Homosexuelle haben in der Interpretation der konservativen Kirchenkreise ein bestimmtes Defizit gegenüber der Normalität. Deshalb wird ihnen in der Seelsorge geholfen“, sagt Lingner. Es sei aber elementar, Homosexualität nicht als „Behinderung“ erfahren zu müssen.

Was die progressive Bewegung fordert, ist nichts weniger als die Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensmodellen ohne Unterschiede. Der entscheidende Punkt in einer Diskussion, über den wohl auch in der Märzsynode keine Einigung erzielt werden kann. „Die Frommen in der Metropole und auf dem Lande, die den Glauben praktizieren, sind anderer Meinung als die Synode“, glaubt hingegen Pastor Rüß. Diese werde für Einzelprobleme von „Randgruppen“ instrumentalisiert. Daß Minderheiten hofiert würden, ist für Hardliner Rüß eine der Hauptursachen für den Exodus der Gläubigen aus der nordelbischen Kirche: „Die Themen der Synode sind nicht die der Gemeinden.“

In diesem Punkt dürfte Pastor Rüß irren. Daß die innerkirchliche Demokratisierung in den meisten Gemeinden weiter fortgeschritten ist als in den Kirchengremien, ist kein Geheimnis, wie auch Synodalpräsidentin Lingner bestätigt. „Wir wollen jetzt Fakten schaffen, hinter die die Kirche nicht mehr zurück kann“, glaubt Pastor Gorski an die baldige Entstigmatisierung der Homosexualität .

Die kontroversen Diskussionen dauern derweil an: „Es werden noch mal 20 Prozent der Kirchenmitglieder abwandern“, prognostiziert Pastor Ulrich Rüß. Das ist gut möglich. Vielleicht aber nicht, weil die nordelbische Kirche endlich den Anschluß an die Moderne sucht. Sondern weil sie das reichlich spät tut.

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