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Dies ist eine Zwischenzeit

Nach dem Kalten Krieg der Krieg der Kulturen? Ein Symposium in Berlin über die Thesen des US-Politikberaters Samuel Huntington  ■ Von Jürgen Gottschlich

Ein Diskutant aus dem Publikum prägte die prägnanteste Formel zur Charakterisierung der US- amerikanischen Kulturkampftheorie: Huntington, der prominenteste Prophet eines kommenden Kampfs der Kulturen, sei für ihn nichts anderes, als „die intellektuelle Variante von Betty Mahmoody“. Der einflußreiche amerikanische Politikberater Samuel Huntington triebe also in seinem Feld letztlich das gleiche Spiel wie die Bestsellerautorin, die in ihrem Reißer „Nicht ohne meine Tochter“ den Iran als eine mit westlichen Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten unvereinbare, minderwertige Zivilisation beschrieb. Hier werde eine politische Vorlage mit dem einzigen Ziel entwickelt, die globale Hegemonie des Westens aufrechtzuerhalten.

Da nahezu alle Teilnehmer des Mittelmeer-Symposiums im Berliner Haus der Kulturen der Welt sich dieser Einschätzung anschlossen, blieb die Frage: Warum wird dann über eine so durchsichtige, so offensichtlich interessengeleitete These, die auf einem Aufsatz Huntingtons in der renommierten Zeitschrift Foreign Affairs basiert, der bereits 1993 veröffentlichte wurde, immer noch so intensiv diskutiert?

Zumindest zwei Teilnehmer versuchten darauf eine Antwort zu finden: Udo Steinbach, Direktor des Hamburger Orient Instituts, und Lothar Probst, der Leiter des Instituts für Kulturwissenschaftliche Studien an der Universität Bremen. Für Probst hat Huntington im Vakuum des „Post-Cold- War“ eine neue Interpretation globaler Zusammenhänge angeboten, die „nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Zumindest in ihrem analytischen Teil.“

Und Steinbach betonte, man könne Huntington nicht einfach beiseite legen und ignorieren, sondern man müsse ihn „abarbeiten“, weil seine Thesen erst einmal der Wahrnehmung vieler Menschen entsprechen. Wenn heute jemand sagt, Chinesen und Amerikaner, Hindus und Muslime, Araber und Europäer können einfach nicht miteinander auskommen und deshalb wird der nächste Krieg ein Krieg unterschiedlicher Zivilisationen sein, denken viele: Genau, das sieht man ja in Jugoslawien, im Kaukasus und im Nahen Osten. Die Kriege der Ära nach dem Kalten Krieg scheinen auf den ersten Blick Ethnokriege zu sein.

Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine Feststellung Huntingtons, die einige jüngere Auseinandersetzungen in der Tat von den früheren Kriegen dieses Jahrhunderts unterscheiden. Zu Zeiten der ideologischen Konflikte war die Schlüsselfrage: Zu welcher Seite gehörst du? Die Leute hatten die Wahl, ob sie für den Kommunismus oder den Imperialismus kämpfen wollten. In den von Huntington prognostizierten Konflikten zwischen Zivilisationen hieße es jetzt: „Was bist du?“ Da aber ein Russe kein Balte werden kann und ein Aserbaidschaner kein Armenier, gibt es kein Entrinnen. „Wie wir aus Bosnien wissen, kann die falsche Antwort leicht ein Loch im Kopf bedeuten.“

Gerade der Verweis auf Bosnien rief aber heftigen Protest hervor. Es sei eine besonders perfide Verkehrung der realen Verhältnisse, so der Berliner Politologe Hajo Funke, ausgerechnet in Bosnien dem Islam einen Angriff auf den Westen unterzuschieben. Opfer und Täter würden, wie so oft, verkehrt.

Wer bedroht wen?

Wenn man schon von Bedrohungsszenarien spreche, wie Huntington dies ja tue, empörte sich auch der in Paris lehrende Mahgrebiner Sami Nair, müsse man doch fragen, wer eigentlich wen bedrohe. „Der Westen hat die militärische Macht, die finanzielle Macht und letztlich auch die mediale Macht, global seine Interessen durchzusetzen.“ Der vermeintliche Krieg der Kulturen sei nichts anderes als eine strategische Vorlage zur Aufrechterhaltung eben dieser westlichen Hegemonie.

Da damit allein aber zweifellos vorhandene ethnozentrische Entwicklungen nicht erklärt werden können, versuchte es Probst mit einem neuen Begriff: Zwischenzeit. „Wir leben in einer Zwischenzeit, in der die Bindungskraft von Nationalstaaten abnimmt, weil er im Verhältnis zu supranationalen Organisationen an Bedeutung verliert, diese supranationalen Organisationen aber keine demokratische Rückkoppelung haben und deshalb keine identitätsstiftende Wirkung entwickeln können. Die Welt ist nicht mehr bipolar und nicht mehr nationalstaatlich organisiert, und gleichzeitig fehlt ein globales Ordnungsprinzip. In dieser Situation gibt es Globalisierungsverlierer, die sich dann umso stärker auf ihre Ethnie oder ihre Religion zurückziehen.“ Tatsächlich jedoch sei dieser vermeintliche Kulturkampf ein Kampf um knappe Ressourcen und ein Streit um den richtigen Weg zur Moderne.

Spannend wurde das Symposium immer dann, wenn es um die Analyse eines konkreten Konflikts ging. Findet in der Türkei, wie von Huntington behauptet, ein „Clash of Civilisations“ statt? Ist der israelisch-arabische Konflikt nicht ein Paradebeispiel für den Kampf unterschiedlicher Kulturen? „Wenn Huntington recht hätte“, so der ägyptische Journalist Mohammed Sid-Ahmed, „könnte es keinen Frieden zwischen Israelis und Arabern geben. Dann könnten wir den Friedensprozeß gleich beenden. Die aktuelle Entwicklung zeigt aber genau das Gegenteil: Der Frieden entscheidet sich nicht an kulturellen Differenzen, sondern an einem Ausgleich der Interessen und einer gerechten Verteilung von Ressourcen. Wenn es genug Wasser gibt, gibt es keinen ,Clash of Civilisation‘.“

Auch der israelische Historiker Moshe Zimmermann konnte sich mit Huntingtons These nicht anfreunden: „Der Nahostkonflikt ist ein Konflikt zweier Nationalismen, des jüdischen und des arabischen.“ Gerade die israelische Gesellschaft, so Zimmermann, zeige die Absurdität der Behauptung, verschiedene Zivilisationen könnten nicht zusammenleben und sich gegenseitig durchdringen. „In Israel leben Araber, arabische Juden und europäische Juden. Sind die Juden aus den arabischen Ländern nun Angehörige der westlichen oder der islamischen Kultur?“ Das Problem, darin waren sich Israelis und Ägypter einig, ist die Überwindung des Nationalismus.

„Wie“, so Zimmermann, „definiert sich Israel im Postzionismus?“ Was kommt nach dem gescheiterten arabischen Nationalismus? Sowohl für Israel wie für die arabischen Länder, darin waren sich die Diskutanten einig, gibt es zwei Möglichkeiten: Israel kann im Nahen Osten aufgehen als eine demokratische, orientalisch bestimmte Gesellschaft oder aber dem jüdischen Fundamentalismus anheimfallen. Das gleiche gilt für die arabischen Staaten: Die Frustation über den arabischen Nationalismus, der gegen den Zionismus verloren hat, führt entweder zum islamischen Fundamentalismus oder aber zu einer Demokratisierung der arabischen Gesellschaften. Dazu hat nach Meinung von Sid-Ahmed Israel den Schlüssel in der Hand: „Israel muß einen fairen Frieden bieten. Dazu gehört ein palästinensischer Staat, eine einvernehmliche Regelung für Jerusalem und ein jüdischer Atomwaffenverzicht.“

So skeptisch während des Symposiums die Chancen des Friedensprozesses im Nahen Osten gesehen wurden, so optimistisch waren die Gäste aus der Türkei. „Die Entwicklung in der Türkei“, meinte die Soziologin Nilüfer Göle, „werde zeigen, daß eine westliche demokratische Orientierung durchaus mit einer islamischen Partei wie der Wohlstandspartei (Refah), die aus den letzten Wahlen als stärkste Kraft hervorgegangen ist, vereinbar ist. Die Islamisten sind Teil einer Normalisierung der Türkei und profitieren zur Zeit am stärksten von der Modernisierung der Gesellschaft.“

Ganz so problemlos stellt sich die Entwicklung in der Türkei für den Politiker Hakki Keșkin, der seit dreißig Jahren zwischen der Türkei und der BRD pendelt, nicht dar. „Der Aufschwung der Islamisten ist eine Reaktion auf die westliche Doppelmoral. Die Menschen vergleichen den westlichen Einsatz beim Golfkrieg und in Bosnien, und sie fragen sich, warum der Westen Diktaturen wie in Saudi-Arabien unterstützt?“ Da die Refah aus diesem Widerspruch gewachsen sei, „ist unter anderem ihr Verhältnis zum türkischen Rechtsstaat unklar. Wird Refah die Verfassung akzeptieren?“ Der Vertreter der Refah, Ali Yüksel, stellvertretender Vorsitzender der islamischen Immigratenvereinigung Nationale Sicht (Milli Görüș), versuchte Keșkin zu beruhigen. „Niemand braucht Angst vor einer Refah-Regierung zu haben.“

Schließlich gipfelte auch im Haus der Kulturen in Berlin die Frage nach dem Kulturkampf in der Kopftuchfrage. „Wird Refah“, wollte eine besorgte Berlinerin, die mit einem Türken verheiratet ist, wissen, „den Schleier wiedereinführen?“ „Wir werden niemanden zwingen, etwas zu tun, was sie nicht selbst will“, beteuerte Yüksel. Wenn er die Wahrheit sagt, ist Huntington erledigt.

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