"Fast schon ein Oldie"

■ Boris Becker gewinnt die Australian Open und plant weitere sportliche Großtaten. Huber chancenlos gegen Seles

Berlin (taz/dpa) – Als Boris Becker vor fünf Jahren, während des Golfkrieges, erstmals die Australian Open gewann und zur Nummer eins des Welttennis aufstieg, flüchtete er nach dem Matchball aus dem Stadion und ging in einem nahegelegenen Park erst mal eine Weile in sich, bevor er zur Siegerehrung zurückkehrte. Eigentlich wollte er bei seiner Rede ans verdutzte Publikum auch ein paar Worte zum Krieg sagen, wurde aber, wie er später erklärte, so „übermannt von den Gefühlen“, daß er nur ein paar Dankesfloskeln herausbrachte. Diesmal war er nach der Pokalübergabe kaum zu stoppen, unterhielt das Publikum mit kleinen Witzen und meinte später: „Ich hätte noch stundenlang reden können.“

„1991 war ich als Mensch nicht so weit wie als Tennisspieler“, ließ er nach seinem 6:2, 6:4, 2:6, 6:2-Sieg gegen Michael Chang wissen, nunmehr habe er sein Privatleben und seinen „sensiblen Sport“ perfekt miteinander in Einklang gebracht. Fast perfektes Tennis spielte er im Finale gegen den 23jährigen Amerikaner, der keineswegs, wie allenthalben behauptet, Hobbyangler ist, sondern eher das Gegenteil: Er züchtet Zierfische. Lediglich im dritten Satz brach Becker vor 15.000 Zuschauern im Flinders Park ein wenig ein, ansonsten flogen die Bälle exakt dorthin, wo er sie gerne haben wollte. „Ich spüre in meinen Schlägen die nötige Sicherheit, um jedes Match zu gewinnen.“ Dem stimmte auch Chang ohne weiteres zu: „Er ist ein wahrer Champion.“

Nach seinen Siegen beim ATP- Finale im letzten November und nun in Melbourne hält sich Becker nicht zu Unrecht für den derzeit besten Tennisspieler, bleibt aber in der Weltrangliste vorläufig auf Rang vier. Das soll sich im Laufe des Jahres ändern: „Mein Ziel muß es sein, nicht nur im Januar, sondern auch im Dezember ganz vorne zu stehen. Ich fühle noch große Dinge in mir.“

Boris Beckers sechster Erfolg bei einem Grand Slam-Turnier, der erste seit Melbourne 1991, ist die Krönung des Quasi-Comebacks, das er Anfang 1994 mit der Verpflichtung Nick Bollettieris als Trainer begonnen hatte. Zuvor hatte er eine Zeitlang seinem Privatleben den Vorzug gegeben, war sogar aus den Top Ten gerutscht und nach – allerdings etwas fragwürdigen – Umfragen in seiner Popularität angeblich hinter Michael Stich zurückgefallen. „Ich habe noch nie für einen Sieg so lange gearbeitet“, sagte der 28jährige jetzt. „Das kostete viel Überwindung und war ein großes Opfer.“

Bereits in Wimbledon 1995 hatte Becker sich mächtig darüber geärgert, daß alles nur von Sampras und Agassi sprach, seine Finalteilnahme dagegen fast als Sensation betrachtet wurde. „Die Leute tun so, als ob mein Erfolg hier eine Überraschung wäre“, schimpfte er auch in Melbourne, „aber ich bin schließlich der Weltmeister, von dem man das erwarten kann.“ Im übrigen sei er schon in der letzten Saison der drittbeste Grand Slam-Spieler gewesen. Becker läßt keinen Zweifel daran, daß er viel lieber der beste sein möchte – wenn möglich, in diesem Jahr. „Jetzt bin ich fast schon ein Oldie und weiß, daß mir für manche Ziele nicht mehr viel Zeit bleibt.“

Den ersten Grand Slam-Erfolg nach ihrem Comeback schaffte Monica Seles mit einem klaren 6:4, 6:1-Erfolg gegen Anke Huber. Probleme bekam die 22jährige erst nach der Partie, als sie auf das Messerattentat von Hamburg angesprochen wurde. „Ich will nicht darüber nachdenken“, erklärte sie und flüchtete wenig später unter Zurücklassung ihres Pokals aus der Pressekonferenz. Zuvor hatten sich die Finalistinnen nur im ersten Satz ein spannendes Match geliefert und mit den wuchtigen Grundlinienschlägen, die beide bevorzugen, herumgejagt. „Wir haben ungefähr das gleiche Spiel“, analysierte die 21jährige Anke Huber, die nach ihrem ersten Grand Slam- Endspiel auf Platz fünf der Weltrangliste vorrückt. „Monica hat weniger Fehler gemacht. Das war der Unterschied.“ Matti