Polens Expremier wird Parteichef

Sozialdemokraten wählen Józef Oleksy mit großer Mehrheit zum neuen Vorsitzenden. Dabei bleiben die Genossen lieber unter sich und sperren die Presse vom Parteitag aus  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Solidarität“ heißt das neue Zauberwort der polnischen Sozialdemokraten. Auf ihrem Parteitag wählten sie am Samstag Józef Oleksy, der erst drei Tage zuvor als Ministerpräsident zurückgetreten war, zu ihrem neuen Vorsitzenden. Oleksy, der ohne Gegenkandidaten angetreten war, erhielt 308 von 325 Stimmen. Die Wahlkommission hatte allerdings Probleme mit den restlichen 17 Stimmen: Waren sie ungültig, waren es Enthaltungen oder Gegenstimmen? Die Kommission setzte alle möglichen Versionen in die Welt. Ein endgültig offizielles Wahlergebnis lag bis gestern nachmittag nicht vor.

Der Parteisitz der exkommunistischen Sozialdemokraten hatte sich bereits am Samstag morgen in eine Festung verwandelt. An jedem Ausgang standen zwei Posten einer privaten Wachgesellschaft. Vor dem Gebäude skandierten rund 200 dickvermummte Demonstranten: „Nieder mit dem Kommunismus! KGB nach Rußland!“ Aber auch die Journalisten wurden von den Wachleuten barsch zurückgewiesen. Die Partei tagte hinter verschlossenen Türen. Offensichtlich hatten die Sozialdemokraten bei der Wahl des neuen Vorsitzenden Dinge zu verhandeln, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren sollte. Aleksander Kwaśniewski hatte kurz nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten Mitte November den Parteivorsitz niedergelegt und Józef Oleksy zu seinem Nachfolger vorgeschlagen. Knapp vier Wochen später bezichtigte der Innenminister Oleksy der Spionage für den KGB. Als die Staatsanwaltschaft entschied, in dem Fall zu ermitteln, trat Oleksy als Premier zurück.

Witold Firak, ein sozialdemokratischer Hinterbänkler, hatte bereits vor dem Parteitag den Ausgang der Wahlen vorhergesagt. In der Tageszeitung Trybuna begründete er die Haltung der Partei zu Oleksy: „Welches moralisches Recht hätten wir denn, den Leuten zu sagen, Oleksy ist unschuldig, wenn wir ihn nicht zum Vorsitzenden wählen.“ Einziger möglicher Gegenkandidat Oleksys wäre Leszek Miller gewesen, ein Betonkopf der alten Garde und zugleich einer der beliebtesten Politiker in der Partei. Auch gegen Miller wurde bereits der Vorwurf der Spionage für den KGB erhoben. In einer Abstimmung, die der Wahl zum Vorsitzenden vorausging, sprachen ihm die Delegierten zu fast 100 Prozent ihr Vertrauen aus. Ein ähnlich positives Ergebnis erreichte außer Oleksy auch der umstrittene Justizminister Jerzy Jaskiernia. Gegen ihn hatte die Opposition bereits zweimal ein Mißtrauensvotum im Sejm, dem polnischen Parlament, beantragt.

Staatspräsident Kwaśniewski muß nun bis zum 9. Februar einen neuen Regierungschef ernennen. Dieser hat dann zwei Wochen Zeit, um dem Parlament ein mehrheitsfähiges Kabinett zu präsentieren. Inzwischen haben alle Parteien ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorgestellt. Zu ihnen zählt auch der Ende Dezember zurückgetretene Außenminister Polens, Wladylaw Bartoszewski. Vorgeschlagen hat ihn die oppositionelle Freiheitsunion. Bartoszewski soll einer überparteilichen Regierung von Fachleuten vorstehen.

Eine reelle Chance, tatsächlich künftiger Regierungschef Polens zu werden, hat aber nur ein gemeinsamer Kandidatat der bislang regierenden Koalition aus der Allianz der demokratischen Linken und der Bauernpartei. Diese haben sich aber noch nicht auf einen Kandidaten einigen können.