: Schmerzhafter Aderlaß
■ Landesbedienstete sollen für die Fusion mit Brandenburg werben. Doch sie stehen der Länderehe wegen des Stellenabbaus kritisch bis ablehnend gegenüber
Die Kampagne beginnt im Innern. Eberhard Diepgens Senatskanzlei wirbt um die Länderehe mit Brandenburg zuerst beim eigenen Personal. Eine schwierige Klientel, die mit einem propagandistischen Salto gewonnen werden soll: Diepgen möchte, daß Beamte und Angestellte „über die Zukunft der Region Berlin-Brandenburg diskutieren“, in der Familie, mit Freunden und am Arbeitsplatz – solange sie ihn noch haben. Denn für Fusion und Haushaltssanierung müssen ein Viertel der 127.000 Stellen in Berlins Spitzenbehörden abgebaut werden. Aber das verrät das vierseitige Faltblatt nicht, das die öffentlich Bediensteten auf die Volksabstimmung im Mai trimmen soll.
Mit dem Faltblatt und „12 wichtigen Fragen und Antworten für Berlins öffentlichen Dienst“ tingelt der „Fusionsexperte“ der Senatskanzlei, Karl-Heinz Hage, durch die Behörden. Sein wichtigster Hochzeitsgruß ans Landespersonal lautet: Gemach, gemach! In „einer mehrjährigen Übergangszeit in kooperativem Zusammenwirken mit den Gewerkschaften“ werde die Ehe vollzogen. Sprich: Der Stellenabbau erfolge sozialverträglich, ohne Kündigungen. Doch die Senatsbediensteten schenken dem nur begrenztes Vertrauen. Die Stimmung bei Hages Veranstaltungen sei kritisch bis ablehnend, berichten TeilnehmerInnen.
Die Gründe für die „Heirat der beiden Kirchenmäuse“, wie die Bündnisgrüne Michaele Schreyer die Arme-Länder-Ehe nennt, haben die Fusionsagitatoren in Nebensätzen versteckt. Die Länderfusion stärke „die Konkurrenzfähigkeit, Wirtschafts- und Steuerkraft der Region“ – langfristig, heißt es ehrlicherweise in der Senatsbroschüre. Man wolle den Leuten keine unhaltbaren Versprechungen machen, ergänzte der Fusionsexperte Hage. Was an Pro- Argumenten bleibt, ist Geschichte. Auch die Kreation Groß-Berlins in den zwanziger Jahren sei heftig umstritten gewesen. (Siehe Kasten) „Heute profitieren wir unverändert“ davon, weiß das Infoblättchen.
Wenn es ans Eingemachte geht, etwa an den Personalabbau, wird gegen den Fusionspartner Brandenburg gestichelt. Die Mark beschäftige in Ministerien und oberen Landesbehörden 16.000 Leute, monierte Hage, darunter seien heute noch immer „Personalüberhänge“ aus DDR-Zeiten. Berlin habe dagegen nur 13.000 Beschäftigte in den Spitzenbehörden, zu denen Senatsverwaltungen und nachgeordnete Landesbehörden wie das Landesumweltamt oder die Statistiker des Landes gehören würden.
Die Rechnung soll Balsam für die Seelen der unruhigen bis renitenten Regierungsbeschäftigten sein. Denn nur für Ministerien (in Berlin: Senatsverwaltungen) und Landesoberbehörden gilt bei einer Fusion die Regel Aus-zwei-mach- eins. Lehrer, Rechtspfleger oder Polizeibeamte konkurrieren hingegen bei einer Fusion gar nicht um ein und denselben Arbeitsplatz. Sie werden in Prenzlau und Pankow, in Lübben und Lübars weiterhin ihren Dienst tun.
Nur an der Spitze der Landesverwaltung ist gewissermaßen alles doppelt im Angebot: Minister, Senatoren, Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Regierungsreferenten. Und da habe Berlin, in Hages Arithmetik, einen Vorteil, weil es weniger Personal beschäftige. Was der Fusionsexperte wohlweislich verschweigt: Wie schmerzhaft der bevorstehende Aderlaß sein wird. Allein Berlin beschäftigt heute 6.100 Leute in den Senatsverwaltungen, Brandenburg weitere 3.300 Personen in seinen Ministerien. Ein mit Berlin-Brandenburg vergleichbar großes Land wie Hessen hat dagegen nur 3.000 Ministerialbeamte.
Ein Rationalisierungsbedarf von zwei Dritteln, würde man in der Wirtschaft sagen. Der Fusionsexperte Karl-Heinz Hage flieht da lieber ins Allgemeine. Bei Brandenburgs höchsten Landesbehörden sei einiges verfestigt, aber „bei uns ist das noch viel verfestigter“. Im Rathaus Schöneberg wird am Mittwoch von solchen Zumutungen nicht die Rede sein. Dann wollen Eberhard Diepgen und Manfred Stolpe mit den BürgerInnen höchstpersönlich den Auftakt der Heiratskampagne feiern. Das Ziel ist hochgesteckt: Mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten müssen bei der Volksabstimmung am 5. Mai ihr Jawort geben. Christian Füller
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