"Haftverlängerung wird zum Regelfall"

■ Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Rechtsanwalt Rüdiger Portius, zu den geplanten Einsparungen von 700 Stellen bei Staatsanwaltschaft, Gerichten und Vollzug: Verfahren immer la

taz: Bei der Staatsanwaltschaft und den Gerichten sollen in den nächsten vier Jahren 500 Stellen eingespart werden. Welche Konsequenzen erwarten Sie?

Rüdiger Portius: Ich befürchte, daß der Rotstift in jeder Abteilung prozentual angesetzt wird und daß das entsprechend großflächig zu längeren Verfahrensdauern führt.

Wie lange ziehen sich derzeit Verfahren hin?

Das kommt auf den Bereich an. Bei der Alltagskriminalität ist die Verfahrensdauer grundsätzlich jetzt schon zu lang. Ich habe Ermittlungsverfahren im Bereich Betrug und Unterschlagung, wo die Tat 1993 war und bis heute in der ersten Instanz noch nicht abgeschlossen ist. Man kann sagen, in den großen Bereichen, wo Strafkammeranklagen erfolgen, ist die vom Gesetz her vorgeschriebene Sechsmonatsfrist zwischen Tat beziehungsweise Festnahme und Beginn der Hauptverhandlung fast zur Mindestdauer geworden. Bei allem, was länger dauert, wo jemand in Haft sitzt, muß das Kammergericht Haftverlängerung beschließen. Das ist der Regelfall.

Woran liegt das?

Die Abteilungen bei den Amtsgerichten sind mit den Haftsachen, also Verfahren, wo jemand in Haft ist und die von der Justiz vorrangig betrieben werden, dermaßen blockiert, daß die übrigen Verfahren immer wieder nach hinten geschoben werden. Natürlich sind Haftsachen absolut vorrangig. Aber das Problem fängt da an, daß viel zuviel und viel zu schnell in Haft genommen wird. Die Dauer der Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft ist häufig sehr lang. Das wiederum liegt an der Zuarbeit der Polizei. Und wenn schon fünf Monate mit dem Ermittlungsverfahren ins Land gegangen sind, kann man nicht erwarten, daß ein Richter in einer Haftsache innerhalb von zwei Wochen einen Prozeßtermin frei hat.

Welche Befürchtungen haben Sie, wenn bei der Staatsanwaltschaft gekürzt wird?

Ich glaube, daß eine Ausdünnung bei der Staatsanwaltschaft I, zuständig für die „normale Kriminalität“, kaum ohne erhebliche Nachteile für die Dauer und Intensität der Ermittlungsverfahren denkbar ist.

Ich habe meine Probleme mit der Staatsanwaltschaft II (zuständig für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, Anm. d. Red). Ich finde, daß die in einem Bereich arbeitet, der vom ersichtlichen Arbeitsaufwand her in keinem Verhältnis steht zu dem, was letztlich tatsächlich unterm Strich rauskommt. Es ist nach meiner Auffassung nicht möglich, mit juristischen Mitteln das aufzuarbeiten, was bei der Umstellung des Gesellschaftssystems versäumt worden ist. Alles, was in den Bereich der sogenannten Regierungskriminalität fällt und was nicht unmittelbar und nachweislich mit echten Straftaten zu tun hat, ist ein klarer Fall für Amnestie. Das ist Verschwendung von wirklich hochwertigem Potential.

Wo sollten diese Arbeitspotentiale statt dessen eingesetzt werden?

Im Bereich der Wirtschaftskriminalität zum Beispiel. Dort liegt eine Menge im argen, was unentdeckt bleibt oder auch nur an der Oberfläche mal eben angetastet wird. Ich halte es für wesentlich, daß das strafrechtlich aufgearbeitet wird.

Sind die geplanten Einsparungen von 200 Stellen im Vollzugsdienst leichter zu verschmerzen als bei den Gerichten?

Ich finde das eine viel größere Katastrophe. Man kann eher damit leben, daß jemand nur sehr langwierig verfolgt wird. Wenn er nicht erneut eine Straftat begeht, wirkt sich das unterm Strich vielleicht sogar günstig aus – eine Art Vorbewährung. Ich kann eher damit leben, daß es zu wenige Staatsanwälte und Richter gibt, wenn entsprechend viele Leute in Freiheit bleiben, die nicht erneut straffällig werden. Schlimmer ist es, wenn Häftlinge nur verwahrt werden und dann völlig desozialisiert wieder aus dem Knast kommen. Das Interview führte

Barbara Bollwahn