: Großer Auftrieb in Bensheim
■ Eysoldt-Ring für Martin Wuttke, der „Nobelpreis“ für Schauspielkunst
Der Dunst der Großstadt weht aus Berlin in die westdeutschen Wohlstandsregionen, genauer: in die südhessische Stadt Bensheim. Der Schauspieler Martin Wuttke erhielt dort am letzten Sonntag den Gertrud-Eysoldt-Ring als Preis für seine Darstellung des Arturo Ui in der Inszenierung von Heiner Müller am Berliner Ensemble. Wuttke ist nach Doris Schade, Gert Voss, Edith Clever, Hans Christian Rudolph, Cornelia Froboess, Ulrich Mühe, Rolf Boysen, Joachim Holtz und Christa Berndl der zehnte Träger des seit 1986 jeweils auf Vorschlag der Deutschen Akademie für Darstellende Künste verliehenen Rings.
Während Ehrenzeichen für Dichter, Denker und Menschenfreunde in grotesk-barocker Vielfalt wuchern, führt für Schauspieler im Fall einer Ehrung der einzige Weg nach Südhessen. Von den Ranglisten in der Fachpresse abgesehen – Martin Wuttke ist als Arturo Ui auch „Schauspieler des Jahres“ –, hat der deutsche Theaterbetrieb kaum bedeutende Darstellerpreise zu vergeben. Das kann als Ausweis für den Partikularismus in der deutschen Theaterlandschaft gelten, hatte aber über Jahrzehnte niemanden gestört. Außer einen. Der 1981 verstorbene Wilhelm Ringelband, ein Bensheimer Theaterliebhaber und Kritiker, hatte testamentarisch verfügt, die Theaterwelt mit einer Art Nobelpreis für deutschsprachige Schauspieler zu beglücken.
Zu Lebzeiten hatte der Stifter den asketischen Privatgelehrten gegeben, der sein Leben mit Zeilengeld fristet. Im hymnischen Ton eines verspäteten Expressionisten schrieb Ringelband Elogen auf die Schauspielkunst, als andere im Theater die Unterabteilung der politischen Avantgarde sahen. Nach seinem Tod hinterließ er zur Überraschung seiner Mitwelt ein beträchtliches Vermögen, das er in einem komplizierten System von Anordnungen verteilt wissen wollte. Kern des Vermächtnisses ist der Preis zu Ehren von Gertrud Eysoldt (1870 bis 1955), eine Protagonistin im Theater Max Reinhardts und eine der ersten Vertreterinnen moderner Schauspielkunst.
Daß sich das Gewicht der PreisträgerInnen nicht so recht auf den Preis selbst übertragen will, liegt an der Stiftung selbst. Die Städte Frankfurt am Main und München haben sich dem testamentarischen Glasperlenspiel verweigert. So wird nach dem Wahrspruch der Akademie der wichtigste deutsche Theaterpreis in und von einer Stadt vergeben, die ohne eigenen Theaterbetrieb vom Geschehen in der Branche abgekoppelt ist.
Im wohltuenden Kontrastprogramm zu Rassegeflügelschauen und Vereinsjubiläen ehrten die Notablen des Ortes am Sonntag die aufregendste Theaterarbeit der vergangenen Saison. Und angesichts des indirekten Nachfolgers Brechts und direkten Heiner Müllers trieb ihnen Ergriffenheit einen Moment lang die Hände an die Hosennaht. Unter die Glückwünsche für den neuen Intendanten des Berliner Ensembles mischte sich guter Rat. Der Altphilologe Walter Jens entdeckte in den epischen Spielweisen Parallelen mit der ritualisierten Aufführungspraxis der Antike und entwarf Martin Wuttke sogleich als Wunschbesetzung des Kreon in seiner Rezeption des Antigone-Stoffs. Zwischen Blumenschmuck und Pathos wirkte nur einer nicht wohl gebettet: Wuttke selbst.
Daß nicht mehr nur der Spielbetrieb seines Theaters auf ihm lastet, sondern auch die Sorge um dessen künstlerischen Fortbestand, gräbt sich in sein Gesicht. Aber möglicherweise auch die Frage, ob nicht die derzeitige Heiner-Müller-Emphase im öffentlichen Bewußtsein gleichzeitig das Ende seiner Wirkung als Dramatiker bedeutet. Denn ihrem politischen Entstehungskontext enthoben, könnten sich die Stücke in Sprachspiele von hoher Form auflösen. Daß er sie virtuos beherrscht, auch dafür wurde Wuttke geehrt. Müller- Theater als ästhetizistische Veranstaltung – das wird Wuttkes letzte Antwort nicht sein.
Kein Preis ohne Förderpreis. Die wenigen öffentlichen Auftritte Kurt Hübners zählen zu den Besonderheiten von Eysoldt-Ring- Verleihungen. Der Mentor mehrerer Regiegenerationen vergibt einen Preis für junge Regisseure. Pit Holzwarth erhält ihn für die Arbeit der Bremer Shakespeare Company und ihre „konsequente Hinwendung zum volkstümlichen Theater im besten Shakespeareschen Sinne“. Elmar Goerden hat mit „Blunt oder der Gast“ am Stuttgarter Staatstheater, so Hübner, „frischäugig und entdeckerisch, kritisch und hilfreich dem Werk dienend“, den Text zum „inszenatorischen Ereignis“ geführt. Also doch: „Das Theater der Jungen lebt!“ Uwe Mattheiß
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