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„Politischer Diebstahl in Milliardenhöhe“

■ SPD kritisiert Rentenpolitik der Regierung. Finanzierung gefährdet

Bonn (taz) – „Betrug“ und eine „bewußten Täuschung der Öffentlichkeit“ werfen der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping und sein Parteikollege Rudolf Dreßler der Bundesregierung angesichts neuer Milliardendefizite in der Rentenkasse vor. Die Rentenfinanzierung sei akut gefährdet. Mit ihrer Politik habe die Regierung nicht nur Rentner in Angst und Schrecken versetzt, sondern auch den Rentenkonsens zwischen den großen Parteien beschädigt, sagte Scharping gestern. Wenn die Regierung das Angebot der SPD für einen überparteilichen Rentengipfel zur Stabilisierung der Kassen nicht annehme, müsse sie die Folgen allein tragen.

Dreßler rechnete vor, daß nach bisher von der Regierung nicht veröffentlichten Zahlen die Beiträge zur Sicherung der Renten im nächsten Jahr auf 20 Prozent steigen müßten. Im Oktober habe die Regierung noch von einem Beitragssatz von lediglich 19,4 Prozent gesprochen. Auch in den beiden darauffolgenden Jahren müßten die Rentenbeiträge nach den neuesten, bisher noch verschwiegenen Zahlen jeweils um 0,2 Prozent stärker angehoben werden, als dies Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) im Oktober habe glaubhaft machen wollen, sagte Dreßler. Innerhalb der vergangenen drei Monate habe sich die Schätzung der Regierung derart verändert, daß man nicht mehr von einem Rechenfehler ausgehen könne.

Scharping und Dreßler wiederholten die SPD-Forderung, daß die Rentenversicherung entlastet werden solle, indem versicherungsfremde Leistungen – wie etwa Rentenzahlungen an Aussiedler – herausgenommen und dem allgemeinen Bundeshaushalt übertragen würden. Diese hätten allein von 1991 bis 1996 mehr als 120 Milliarden Mark ausgemacht. Gewünschter Nebeneffekt wäre, daß mit den Beamten und Selbständigen dann alle Steuerzahler an der Finanzierung solcher Kosten beteiligt seien. Die bisherige Praxis sei „politischer Diebstahl in Milliardenhöhe“, kritisierte Dreßler. Das Rentensystem sei ohne Alternative und stabil, wenn man es in Ruhe lasse. Doch das habe die Regierung trotz aller Kritik der SPD nicht getan. Ostdeutsche CDU- Abgeordnete kritisierten gestern die Pläne Blüms, die Ost-Renten geringer anzuheben, als ursprünglich geplant. Ihr Sprecher, Paul Krüger, forderte, die Renten müßten „weiterhin kontinuierlich an das Westniveau angepaßt werden“. Der Chef der CDU-Landesgruppe Brandenburg, Michael Wonneberger, kann sich nicht damit anfreunden, daß die Ost-Renten zur Jahresmitte statt um 3,9 Prozent nur um 1,1 Prozent steigen sollen. Der Vorsitzende der Deutschen Rentenversicherungsträger (VDR), Jürgen Husemann, rechnet nicht mit einer Rentenkürzung in den alten Bundesländern. Der Hauptgrund für die aktuelle Diskussion um die Beitragserhöhung liege darin, daß die Arbeitslosigkeit um einen halben Prozentpunkt höher sei, als angenommen. Deswegen müßten die Rentenausgaben vermindert werden. Karin Nink

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