: Gottes Mundküsse
■ Heute in der Uni: Alles über der Welt älteste Liebeslyrik, das Hohelied Salomos
Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn seine Liebe ist lieblicher als Wein. Es riechen deine Salben köstlich; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe, darum lieben dich die Jungfrauen.
Reine Liebeslyrik. Ein erotischer Text, mitten im Alten Testament. Am Hohelied Salomos entwickelte sich die Philologie in ihren jahrtausende alten Bemühen, Küsse, Brüste, streichelnde Hände und süße Stimmen umzudeuten, sie aus dem erotischen Kontext zu lösen. Kirchenmänner und Schriftgelehrte aller Zeiten standen vor dem Problem, im Hohelied Gott, Jahwe, Jesus suchen zu müssen, die mit keinem Wort erwähnt werden.
Dieter Richter, Germanist an der Uni Bremen, wird am Donnerstag in einer öffentlichen Vorlesung über die enormen Leistungen der Philologie (und der Verdrängung) in der Rezeptionsgeschichte des Hoheliedes berichten. Wie im Liebenden Jahwe/Jesus entdeckt wurde, in der Geliebten das Volk Israel/die Kirche, wie der Mundkuß allegorisiert und enterotisiert wurde. Doch siehe: in den schönsten Fällen entstand durch Verdrängung und Neuinterpretation doch wieder neue, versteckte Liebeslyrik – so in des Heiligen Bernhard von Clerveaux' fünf Predigten über das Küssen im Hohelied.
Das Hohelied Salomos enthält die ältesten bekannten Liebesgedichte aus unserem Kulturkreis. Sie reichen bis ins zweite vorchristliche Jahrtausend zurück. „Seit wann gibt es evolutionsgeschichtlich die Liebe,“ fragt Richter. Seine These: seit es ein Wort für die Liebe gibt. Selbst die Fähigkeit, „ich“ zu sagen, soll sich aus der Sprache der Liebe entwickelt haben. Spekulation? Fröhliche Wissenschaft? Auf alle Fälle: Liebe zum Wort („Philologie“). Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen, dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead herab. BuS
Das Hohelied Salomos – Über die Sprache der Liebe und die Liebe zum Wort. Donnerstag, 1.Feb., 17 Uhr. Uni Bremen, Senatssaal (Radio Bremen Mitschnitt)
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