: Züchtung von Problemen
Frauenprojekte drohen mit Aufstand: Streichungen seien „Verstoß gegen Koalitionsvereinbarungen“ ■ Von Ute Scheub
Inkompetente PolitikerInnen machen Berlin zu einer Werkstatt zur Züchtung von Zukunftsproblemen. Weil sie vor allem im lobbyschwachen Frauen-, Jugend- und Sozialbereich Haushaltskürzungen vornehmen, muß mit massiven Folgen (mehr Sozialhilfeabhängige, mehr Jugendkriminalität, mehr Gewalt) gerechnet werden, die Berlin ökonomisch und sozial teuer zu stehen kommen könnten. Das war der Tenor einer Pressekonferenz von Kreuzberger Frauenprojekten, die in ihrer Psychodynamik eher einem Projekteplenum glich.
Anwesend: 50 ratlos bis wütend gestimmte Frauen und drei Männer, darunter der Kreuzberger Jugendstadtrat Helmut Borchardt (SPD). Eingeladen, aber abwesend: eine Vertreterin der Senatsverwaltung für Frauen und die frauenpolitischen Sprecherinnen der Parteien. Nur PDS-Frau Elke Herer war gekommen.
Der Schwerpunkt der Sparmaßnahmen im sozial- und frauenpolitischen Bereich „widerspricht den Koalitionsvereinbarungen“, schimpfte Petra Koch-Knöbel, die als Kreuzberger Frauenbeauftragte zur Konferenz geladen hatte. Laut Koalitionsvertrag soll nämlich „der Gleichstellungsauftrag der neuen Verfassung aktiv umgesetzt“, die Familie gestärkt, Antigewaltarbeit besonders gefördert und Ausländerinnen gemäß ihrem Anteil in allen Bereichen besonders berücksichtigt werden.
Eva Maria Nicolai vom Projekt „Wildwasser“ drohte gar mit einem „Aufstand“: „Das hier heute ist der Anfang verschiedener Aktionen.“ Die eh schon benachteiligten Frauen und Mädchen würden durch die Projektkürzungen noch einmal diskriminiert. „Und wenn wir jetzt wieder auf die Sozialhilfe geschoben werden“, ergänzte eine Vertreterin der schließungsbedrohten „Werkstatt für textiles Gestalten“, „dann wird es am Ende teurer für den Staat.“
Auch der SPD-Jugendstadtrat schloß sich dem an: In anderen Bereichen könne mehr und vor allem sinnvoller Geld gespart werden. Die vom früheren Finanzsenator verhängte Haushaltssperre sei „ohne Sinn und Verstand“, weil sie viele Projekte ins Aus treibe. Ein solcher „Umbruch des Sozialstaates“, das habe inzwischen auch der Polizeipräsident erkannt, treibe die Jugendkriminalität in die Höhe.
Die „Werkstatt für textiles Gestalten“ und „Potpourri“ sind zwei von elf Projekten, die bisher aus einem Vier-Millionen-Projektetopf der Sozialverwaltung finanziert wurden und nun ersatzlos auslaufen sollen. Beide Initiativen bieten Qualifizierungskurse für Sozialhilfeempfängerinnen an, um ihnen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Streichung trifft also die Ärmsten der Armen, außerdem muß am Ende doch der Bezirk als Sozialhilfeauszahler einspringen.
Wie viele Frauen-, Jugend- und Sozialprojekte insgesamt in ihrer Existenz bedroht sind, das konnte gestern niemand verbindlich sagen. Allein in Kreuzberg sind es mindestens vierzehn, die durch den Wegfall von vergleichsweise lächerlichen Summen an den Abgrund geraten, wie zum Beispiel „Wildwasser“, „OFFENSHIVE“, das „Frauenkrisentelefon“ oder der seit 1975 existierende „Türkische Frauenverein“.
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