piwik no script img

Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar

... tut's nicht nur gerne, er spricht auch noch darüber. Ebenso gerne und ebenso häufig. Nach dem Gedankenaustausch über die „Lindenstraße“, neue Bars und den nächsten Grand Prix Eurovision wird jede Kaffeetafel zum Fachseminar über mannmännliche Sexualität. Da berichtet einer über seine letzten ethnologischen Urlaubsstudien am arabischen Mann in Tunesien, ein anderer seziert die aktuellen Trends im Lederclub, und der nächste doziert über die Einsamkeit des fünften Rads am Wagen beim Geschlechtsverkehr zu dritt. Das passiert auf solch hohem Niveau, daß das unter sich geführte Geplänkel der heterosexuellen Männer über Oberweite und Beinlänge dagegen abfällt wie das kleine Einmaleins von Drittkläßlern.

Natürlich hat so etwas seine Gründe. Während in der heterosexuellen Zwangsgemeinschaft die Frau dem Mann die Socken wäscht, seine Slips einkauft und all die Handbücher für einen gelungenen Orgasmus besorgt, die er noch nicht einmal als Klolektüre benutzt, ist der schwule Mann auf sich selbst gestellt. Seine Hemden bügelt er sich ganz alleine, und alles, was er weiß über Sexualität, hat er sich ohne fremde Hilfe angeeignet. Um nicht zu ersticken in dem Müll der homophoben Vorurteile und Legenden – und weil er Praktiker ist. Dabei bleibt ihm nichts, aber auch gar nichts fremd.

So viel amateurhafter Forscherdrang und semiwissenschaftliche Akribie setzt sich natürlich fort. Die Liste derer, die sich tatsächlich als Profis darangesetzt haben, die Sexualität des Menschen zu erkunden, ist voll mit den Namen schwuler Pioniere: Karl Heinrich Ulrichs, Magnus Hirschfeld, Kurt Hiller, Hans Giese, Fritz Morgenthaler, Michel Foucault, Volkmar Sigusch, Martin Dannecker. Selbst heute, wo keiner mehr ein Buch aufschlägt, um etwas über Sexualität zu erfahren, dafür aber jederzeit alles aus dem Fernseher quillt, waren es wieder Schwule, die die Standards dafür gesetzt haben: Matthias Frings mit „liebe sünde“ und Lilo Wanders mit „Wa(h)re Liebe“.

Das wird natürlich nicht gerne gesehen und schon gar nicht anerkannt. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß erst ein dubioses „Erotik-Museum“ der Geschäftsfrau Beate Uhse in Berlin eröffnet werden muß, um den Namen Magnus Hirschfelds in die Erinnerung seiner Heimatstadt zurückzuholen. Und daß Matthias Frings doch bitte schön endlich sein Maul halten soll, darüber schrieb unlängst eine gewisse Anne Urbauer in der Woche. Frings, der mit seiner „liebe sünde“-Redaktion verantwortlich zeichnet für die Sexthemen in der neuen Frauenzeitschrift Amica, wird zunächst von Frau Urbauer ganz heuchlerisch dafür gelobt, daß er „offen homosexuell“ lebt, so als ob es dafür Fleißkärtchen zu verteilen gilt. Dann aber schlägt die Homo-Feindin in ihrer Amica-Rezension voll drauf: „Warum aber die Leserinnen einer Frauenzeitschrift sich in Sachen Sex auf einen Mann verlassen sollten, der mit Frauen wahrscheinlich nicht mehr Praxis hat als Karol Wojtyla, muß die Redaktion noch begründen.“

Damit wird der Schwule wieder in sein Kaffeekränzchen zurückgeschickt, wo er zwischen Sachertorte und Eierlikör immer noch soviel Wissenswertes zusammenträgt, daß Frau Urbauer weiterhin zittern und zetern muß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen