: Haarscharf daneben
Von verführerischen Haaren, esoterischen Friseurinnen, und kahlgeschorenen Ehebrecherinnen ■ Von Nea Matzen
„Mir muß mal wieder dringend jemand ein paar Löcher in die Haare schneiden!“ Dagmar Röpke von der Agentur „Close up“ amüsiert sich über diesen Stoßseufzer eines ihrer „Mädchen“, die von ihr als Visagistinnen und Stylistinnen gemanagt werden. Girlie-Look ist immer noch angesagt und die letzten Ausläufer von Grunge: Strähnig, ungekämmt, ungepflegt mit mehr oder weniger Farbe sollen die Haare sein. Unordnung, aber mit System. Das sind die „passenden Köpfe“ zu Modetrends, die zweimal im Jahr gemacht werden in Paris, London, New York. Alles ist machbar, suggeriert die Schönheitsindustrie. Alles ist „gefaked“, gefälscht in den Hochglanzbroschüren und Spots, wissen die Stylistinnen und Modefotografen. Grunch und Girlie sind dabei nur zwei Facetten einer breiten Palette. Dagmar Röpke ist sich mit Loic Breard von einer anderen Hamburger Haar- Agentur über die Trends einig: „Alles ist möglich! Lang, kurz, verlängert, schräg, gezupft, glatt – in fast allen Farben. Breard findet das wunderbar, schwärmt von Freiheit und Individualität, die dadurch ausgedrückt würden. Tragen wir den Zeitgeist auf unserem Kopf?
Die Folterer im Mittelalter griffen zu haarsträubenden Mitteln: Als Hexen verurteilte Frauen wurden an allen Körperteilen geschoren, um ihre Macht zu brechen, Kahlscheren war damals die Strafe für Ehebrecherinnen wie auch im 20. Jahrhundert zur Zeit des Vichy-Regimes für die französischen Kollaborateurinnen. Lange Haare waren lange Zeit das Vorrecht der Jungfrauen – und der freien Männer. Bei den Mönchen gilt der kahle Kopf seit jeher als Zeichen der Weltentsagung, Hingabe und geistigen Hörigkeit. Wer denkt da nicht an die Kopfbedeckungen von verheirateten Frauen: Unter die Haube mußten sie, die betörenden, verführerischen Haare – die Verkörperung von Geschlechtlichkeit an höchster Körperstelle, die noch heute unter strenggläubigen Muslimen kein Fremder ungestraft erblicken darf. Doch nur weil die Frisur verborgen ist, heißt es ja nicht, daß der Schöheitsstreß aufhört: Unter den Tüchern, Netzen oder Schleiern muß es duften und glänzen – für „ihn“ allein.
Keinen Streß, sondern Freiheit für Frauen sieht Kommunikationsberaterin Beate Ludwig in den Frisuren. Männer in den Chefetagen seien doch langweilig, meint die Busineßfrau. Die Frauen hätten mehr Spielraum. Die immer wiederkehrenden Frisuren-Ratschläge in den Frauenblättern – warum machen die Leserinnen das solange mit? fragt sie und weiß auch eine Antwort. Denn sie hat das Präsentationskonzept für die Ausstellung der Firma Schwarzkopf kreiert, und deren Titel lautet: „Sehnsucht nach Vollkommenheit“. Gerade Frauen seien ein dankbares Publikum für diese Kampagnen, weil sie das eigene Urteil nicht ernst genug nähmen.
Doris Bliefert ist deshalb seit zwölf Jahren therapeutische Haarschneiderin. Die gelernte Friseurmeisterin erfühlt gemeinsam mit ihren Kundinnen und Kunden die natürliche Frisur. Esoterisch mutet es an, wenn sie von den Haaren als „Antennen zum Licht“ spricht, schon der Schäfer Heinrich Ast habe an den Nackenhaaren seiner Schafe und später auch von Menschen Krankheiten diagnostiziert.
Schon nach antiken Vorstellungen steckten übernatürliche Kräfte im Schopf und in der Körperbehaarung. Das lag am immerwährenden Nachwachsen. Der Sitz des Lebens wurde dort vermutet. Volles, dichtes Haar – das bedeutete Machtfülle, Gesundheit und Geschlechtstüchtigkeit. Bei den Männern war Schönheitsstreben und Machtgebaren schwer auseinanderzuhalten – die Lebenskrise beginnt auf jeden Fall heute noch für viele mit der Glatze.
„Volumen“ und „Fülle“ – das sind die Zauberworte in der Werbung. Was seit der griechischen Antike mit Haarteilen, im Mittelalter mit Strähnen an einem Kopfring aus Metall, durch Einflechten von Seide oder Goldfäden, im 17. und 18. Jahrhundert mit riesigen gepuderten Perückenaufbauten (sogar mit Kissen darunter) erreicht wurde, schaffen seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Dauerwelle, Sprays und Styling-Gels. Viel muß es sein und bei den Frauen gern auch lang. „Haarverlängerungen – das boomt“, freut sich Friseurmeisterin Barbara Schaper über ihr Spezialgebiet.
Die Länge ist schon fast ein Politikum. Wer viele Haare hat, egal wo am Körper, der hat Glück und Reichtum, hieß es im Mittelalter. Lange Haare waren ein Zeichen von hohem Stand. Erst Stahlhelm und Gasmaske machten den Kurzhaarschnitt bei Männern zum Regelfall. Den ersten, berühmt gewordenen Bürstenhaarschnitt trug Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg.
Schon vor hundert Jahren war die Haarlänge von Frauen Ausdruck eines neuen Lebensgefühls und ihrer politischen Forderungen. Im Biedermeier trugen sie zum Korsett noch Korkenzieherlocken und Knoten, doch mit Tango und Twostep kam noch vor dem Ersten Weltkrieg der „kurze Kopf“. Berühmt wird der Bubikopf in den zwanziger Jahren, weltweit gefeiert als Symbol für die politische Aufbruchstimmung, die Bewegungsfreude und Sportbegeisterung der Frauen. Wer feministisch dachte, trug ab den Siebzigern ganz kurze Haare. Doch darauf ist heute auch kein Verlaß mehr. Die Locken fließen in jeder Szene. Und der Mehrheit der Männer wird nach wie vor unterstellt, die seien so simpel strukturiert, daß jeder Zentimeter weiblicher Haarlänge mehr sie stimuliere. Auch das wäre ein alter Zopf: Schon die Loreley machte die Schiffer so nervös, daß sie haarscharf danebensteuerten.
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