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Magisch-marodes Milieu ohne Mitte

■ Ein neues Zentrum für Bahrenfeld: Noch gibt es mehr Streit als Klarheit Von Till Briegleb

Was Bahrenfeld eigentlich ist, weiß wohl selbst so mancher Bahrenfelder nicht, und für die restlichen Hamburger ist dieser Stadtteil kaum mehr als ein mit Häusern garnierter Autobahnzubringer. Das ist kein Wunder, denn das ehemals größte Gewerbegebiet in Hamburgs Westen, das sich zwischen Autobahn, Volkspark und Ottensener Gemütlichkeit erstreckt, ist ein Gebiet ohne Zentrum, ohne Einheit, ohne Gesicht.

Das alte Stadtzentrum hat man unter der Autobahn begraben, identitätstiftende Großformen wie die Gasometer abgerissen, die Gewerbeflächen werden mangels Nachfrage umgenutzt oder stehen leer, und die Wohngebiete sind Sprengsel zwischen diesen Brachen.

Gleichzeitig ist Bahrenfeld ein Ort voller Nischen und Geheimnisse. Urwald zwischen maroden Backsteinfabriken, öde Kopfsteinpflasterstraßen, die in urbane Wohnquartiere übergehen, kariöse Hochhäuser neben Villenvierteln, an spannenden Widersprüchen und rätselhafter Atmosphäre krankt Bahrenfeld nicht. Dennoch fehlt in diesem Flickenteppich das Ortszentrum, wo sich ein Gemeinschaftsgefühl entzünden könnte.

Doch dies soll nun endlich entstehen. Auf das 22 Hektar große Areal zwischen Bahrenfelder Steindamm im Norden und Gasstraße im Süden, dort, wo heute die Industriedenkmale der Gaswerke umgeben von einem Wildwuchs an kleiner Gewerbebebauung stehen, dort soll es hin.

Ein städtebaulicher Wettbewerb Ende vergangenen Jahres hatte zum Ziel, die Chancen auszuloten, diese Fläche zum neuen urbanen Herz Bahrenfelds zu machen. Der Entwurf des Siegers, Kähne Architekten, ist inzwischen Grundlage der Diskussion, aber die Probleme gehen jetzt erst richtig los.

Denn was hier nun tatsächlich hinkommen wird, ist noch völlig in der Schwebe. Zum einen streiten sich die beiden Eigentümer des Hauptareals, die Investorengruppen Becken und HPV, über die Bebauung. Dann tauchen all die Probleme auf, die ein gemischt genutztes Quartier, wie es hier entstehen soll, mit sich bringt, wenn man zu viele Funktionen miteinander kombiniert. Das geht los mit der Verträglichkeit von Gewerbe und Wohnen. Lärmemissierende Betriebe fürchten Anwohnerbeschwerden und meiden solche Lokalitäten. Dann möchte die Stadt hier gerne eine 1,4 Hektar große Parkfläche unterbringen, der Investor Dieter Becken aber will dort seinen Supermarkt (notfalls unterirdisch) plazieren.

Schließlich sieht der neueste Plan, wie er Mittwoch abend bei einem Bürgertreff der Bahrenfelder SPD präsentiert wurde, vor, daß ein riesiges Kulturangebot auf der Fläche untergebracht werden soll. Eine Veranstaltungshalle für 4000 Besucher in einem ehemaligen Fabrikgebäude (Interessenten waren bisher die Betreiber von Buddy Holly und die Konzertagentur Karsten Jahnke), eine ebenso große Gastronomie- und Einzelhandelshalle a la Zeisefabrik und der Neubau eines Multiplex-Kinos sehen die Pläne der Investoren HPV vor. Anwohner fürchten natürlich sowohl Lärmbelästigung wie vor allem auch die enorme Zunahme des Autoverkehrs von bis zu 10.000 PKW pro Tag und die damit verbundene Stellplatzfrage.

Zudem ist das eigentliche Ortszentrum, wie Kähne Architekten es auf dem Gelände des ehemaligen Straßenbahndepots an der Nettelbeckstraße planen, noch ohne Investor. „Wir betreiben gerade Projektentwicklung“, milderte Oberbaudirektor Kossak die Ängste der Bürger ab, es werde hier nur der Kommerz-Teil realisiert, die sozialen Einrichtungen, der Wohnungsbau und der Marktplatz aber blieben Makulatur.

Tatsächlich ist nur ein Gesamtkonzept sinnvoll, wenn man an dieser Stelle nicht die Fehler der City-Süd wiederholen will. Wenn sich in den umgebauten alten Hallen nun Büros festsetzten – was sicher zügig vorangehen wird – und dabei das Mischkonzept verloren geht, dürfte das nur zu einer weiteren Fragmentierung Bahrenfelds führen und zudem die Magie des Ortes zerstören.

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