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Apparatschik von Polens Präsident zum neuen Premierminister ernannt

■ Linke Regierungskoalition einigt sich nach tagelangem Feilschen auf einen Kompromißkandidaten

Warschau (taz) – Polen ist immer wieder für Überraschungen gut. Nur eine Woche nach dem Rücktritt des unter Spionageverdacht stehenden Premierministers Jozef Oleksy beauftragte Staatspräsident Aleksander Kwasniewski einen „Mann des Ausgleichs“ mit der Regierungsbildung. Wlodzimierz Cimoszewicz ist seit gestern designierter Premierminister Polens.

In zum Teil zermürbenden Verhandlungen, die sich bis in die Nacht hinein zogen, einigten sich die Koalitionsparteien „Allianz der demokratischen Linken“ (SLD) und Bauernpartei (PSL) auf den Kompromißkandidaten Cimoszewicz. Wenn es diesem gelingt, innerhalb von zwei Wochen ein mehrheitsfähiges Kabinett zusammenzustellen, könnte die seit Wochen schwelende Staatskrise ein Ende finden.

Die Bauernpartei, eine frühere „Blockflöte“, hat in den Verhandlungen mal wieder die stärkeren Nerven bewiesen. Zuerst trieb sie den größeren Koalitionspartner, die postkommunistische SLD, in die Enge und drohte, mit einigen Oppositionsparteien eine neue Koalition einzugehen. Dann forderte sie den Posten des Regierungschefs für sich, egal in welcher Koalition. Das hatte natürlich nur einen Zweck: den Preis möglichst hochzutreiben.

Die bisherige Koalitionsvereinbarung sieht vor, daß der Regierungschef von der einen und der Parlamentspräsident von der anderen Partei gestellt wird. Als Waldemar Pawlak, Vorsitzender der Bauernpartei, erklärte: „Jozef Zych ist unser größtes Kapital. Er muß Parlamentspräsident bleiben!“ war klar, daß der Posten des Ministerpräsidenten wieder an die SLD gehen würde.

Der Preis waren einige Ministerposten, die nun von den Bauern besetzt werden sollen. Gehen soll der seit Wochen hochumstrittene Justizminister und Generalstaatsanwalt Jerzy Jaskiernia. Er hatte durch seine skandalös parteiische Amtsführung bereits zweimal ein Mißtrauensvotum der Opposition gegen sich provoziert. Die SLD hat bereits zugestimmt. Gehen soll auch der Privatisierungsminister Kaczmarek. Dessen gesamter Kurs paßt den Bauern nicht. Der Linke ist ihnen zu marktwirtschaftlich orientiert. Darüber hinaus sind keine Änderungen im Kabinett vorgesehen.

Der parteilose Wlodzimierz Cimoszewicz, der nunmehr siebte Ministerpräsident Polens seit der politischen Wende von 1989, gilt als Querdenker innerhalb der Allianz der demokratischen Linken. Er wird nicht auf die uneingeschränkte Zustimmung der exkommunistischen Hardliner in der SLD zählen können. Als Repräsentant der reformfreudigen Linken aber hat er alle Chancen, sowohl mit den Bauern als auch mit der liberalen Opposition Lösungen für Polen zu finden, die dem Land wieder Stabilität und Glaubwürdigkeit verleihen. Gabriele Lesser

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