: Der BND wußte alles
Kulp-Vermerk beweist: Dunkelmänner im Plutoniumhandel stifteten den Schmuggel mit an ■ Aus Bonn Holger Kulick
Ein typischer deutscher Beamter gab sich am Donnerstag im Plutoniumuntersuchungsausschuß des Bundestags die Ehre. „Mein Name ist Kulp“, und „Ich war eben da“, waren seine einprägsamsten Sätze. Der 50jährige Regierungsoberamtsrat war eigentlich für Rauschgifthandel und Geldwäsche zuständig wie seine ganze BND-Abteilung 11a. Dann aber pries seine lohnende „Rauschgiftquelle“ Rafa aus Madrid vielversprechende Kontakte zu Waffen- und Plutoniumhändlern an. Die Lauscher vom BND wurden hellhörig und witterten ein Erfolgsgeschäft, gemeinsam mit Bayerns Kriminalpolizei.
So wurden am 19. 7. 94 dem Beamten Kulp und seinem BND- Kollegen Adrian alias Willy Liesmann eine neue Aufgabe zuteil: Plutonium. „Wir haben ja Beziehungen zum Landeskriminalamt, also hin zum LKA“, habe sein Referatsleiter gesagt, erinnert sich Kulp. Zwar galt seit 1992 eine Vorschrift, in solchen Fällen das Bundeskriminalamt federführend einzuschalten, aber die war nicht bekannt oder wurde gezielt übersehen. Die Quelle Rafa sollte fortan auch in München V-Mann spielen, in einem bis dahin nie dagewesenen „Pilotprojekt“ der Zusammenarbeit, „so eng wie nie“, zwischen BND und LKA. „Man fragte den Liesmann: ,Sie sprechen doch Spanisch. Wäre es nicht möglich, wenn Sie den Part des Dolmetschers übernehmen?‘“.
So wurde mündlich eine Form von „Amtshilfe“ geboren, die im Verwaltungsrecht der Bundesrepublik ihresgleichen sucht. Genaue Bestimmungen waren Kulp nicht bekannt, genausowenig wie Vorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Dann nämlich hätte die Aktion spätestens abgebrochen werden müssen, als feststand, was Kulp schon am 26. 7. 94 in obenstehendem Aktenvermerk berichtete: daß Rußland Ausgangspunkt der menschengefährdenden Lieferung ist. „Derzeit befänden sich in Moskau 494 Gramm (Plutonium), wovon er drei Gramm als Probe bei sich habe“, wird der Anbieter „Torres“ zitiert. Mit dem LKA ist als Einsatzvariante besprochen, „LKA zahlt die Probe, läßt T. nach Moskau reisen und greift bei der Wiedereinreise zu.“ Das belegt: LKA und BND spielten auch Anstifter zur Tat.
Kulps Vermerk wurde am Donnerstag im Untersuchungsausschuß öffentlich gemacht, inclusive vielsagenden Schwärzungen durch BND und Bundeskanzleramt. Aber sollte so ein Import tatsächlich widerrechtlich sein? Dazu Kulp: „Wenn ich aufzähle, wer alles involviert war, müßte ja mal einer dabei gewesen sein, der all diese Vorschriften kennt.“ Er verließ sich einfach auf seine Kollegen — und die bremsten nicht. Dienstintern wurden Vorschriften aber erst am 6. 10. 94 verfaßt, also zwei Monate, nachdem das Plutonium per Lufthansa von Moskau nach München geschmuggelt wurde. „Aufgrund der Rechtslage“ seien „zunächst“ keine weiteren Ankäufe mehr erlaubt, wurde nun vorgeschrieben, „einschlägige Gesetze für diese Thematik sind das KWKG [Kriegswaffenkontrollgesetz, d. Red.], das Atomgesetz und die Strahlenschutzverordnung sowie das Strafgesetzbuch und internationale Verträge“. Hatte der BND diese Vorschriften zuvor ignoriert? Die nötige Rechtsaufsicht und -belehrung hat Geheimdienstkoordinator Schmidbauer im Kanzleramt offensichtlich fahrlässig vernachlässigt. Und die Musterbeamten beim Bundesnachrichtendienst fühlten sich gedeckt — sie handelten im für sie rechtsfreien Raum. Kulp und Liesmann arbeiteten dabei als „Op-Team“, als operatives Team, in dem Kulp dem angeblichen Dolmetscher „logistisch“ den Rücken freihielt.
„Zu 90 Prozent“ wohnte er den Besprechungen beim LKA bei, angeblich stumm wie ein Fisch, um danach seinen Vorgesetzen mündlich oder schriftlich zu berichten. „Daß man immer voll informiert ist“, hatte BND-Präsident Porzner in seiner Vernehmung Kulps Einsatz begründet, „miterörtert“ habe der Beamte auch. BND und Kanzleramt mußten also wissen, auf was sie sich einließen — bestreiten das aber bis heute. Sicherheitshalber verweigert der „Dolmetscher“ Liesmann inzwischen die Aussage. Was Rafa genau mit den Zwischenhändlern besprach, bleibt ebenso geheim. Seine Beiträge wurden laut Kulps Vermerk im Protokoll unkenntlich gemacht.
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