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Unter Linken: Ratlosigkeit verbindet

■ Mitglieder aus SPD, PDS und Bündnisgrünen suchten in Berlin nach einem radikal-reformerischen Neuanfang

Der PDS-Superstar Gregor Gysi lag mit Grippe im Bett, der letzte Marxist der SPD-Bundestagsfraktion, Hermann Scheer, war im Schnee steckengeblieben. Das waren keine guten Voraussetzungen für das sogenannte „Crossover“, zu dem „Linke“ aus der SPD, den Bündnisgrünen und der PDS am Wochenende in Berlin zusammentrafen.

Eingeladen hatten die Theorieorgane der SPD, Sozialistische Politik und Wirtschaft (spw) und der PDS (Utopie Kreativ) sowie die Zeitschrift der linken Bündnisgrünen, die sich Andere Zeiten nennt. „Eigene Denk- und Verständigungsblockaden“ sollten überwunden werden, hieß es in der Einladung. Gemeinsam hatten die Zeitschriften angeregt, „politische Strategien eines radikalreformerischen Neuanfanges“ zu entwickeln und zu einem „gesellschaftlich mehrheitsfähigen Reformprojekt zu bündeln.“

Was machen die Linken, wenn sie nicht mehr weiter wissen und neue Bündnisse schmieden wollen? Sie berufen eine Konferenz ein, bilden Arbeitsgruppen und verabschieden schließlich eine Erklärung. Die „Neue Weltordnung“ darf da natürlich genausowenig fehlen, wie die Forderung nach Vollbeschäftigung oder nach der Politisierung der Ökonomie. Zwischendurch halten viele kluge und weniger kluge Menschen Diskussionsbeiträge darüber, was man und frau schon immer gesagt haben wollte. Von der Gentechnologie bis zu Multimedia, von alternativen Flugverkehrskonzepten bis zur Feminisierung der Arbeitszeitpolitik durfte da natürlich nichts fehlen.

Schließlich schlitterte Hermann Scheer doch herbei, um den Theorieverlust der Linken und das Verschwinden von Politik zu beklagen. Erst dadurch sei die von allen beklagte neoliberale Hegemonie möglich geworden. Aber, so mußte er sich von Jürgen Trittin belehren lassen, lediglich die emanzipatorische Politik sei seit der Zeitenwende 1989 verschwunden. „Neue Feindbilder“ müßten geschaffen werden, die Gesellschaft müsse wieder polarisiert werden, forderte der Vorstandssprecher der Bündnisgrünen. Anders ließen sich neue gesellschaftliche Mehrheiten nicht durchsetzen.

Die PDS ist da schon einen Schritt weiter. Der kurzfristig eingesprungene PDS-Vorsitzende, Lothar Bisky nahm sich die Konferenzerklärung und analysierte messerschaft, seine Partei habe vieles von dem, was dort stehe, auf dem Parteitag am letzten Wochenende bereits in den Leitantrag geschrieben. Doch „wie kommen wir raus aus unseren Sälen und Zirkeln“, fragte Bisky und konnte keinen „Lichtblick“ ausmachen.

Von linker Selbstblockade war nicht viel zu spüren, dafür um so mehr von parteiübergreifender linker Ratlosigkeit. Artig spendeten sich Bisky, Trittin, Scheer und all die anderen gegenseitig Beifall. Mit allerlei rhetorischem Stehsatz spekulierten sie über Ansatzpunkte für eine „reformpolitische Wende“, doch bei der Frage nach den „gesellschaftlichen Kräften“, die sie durchsetzen sollen, verfielen sie in kollektives Schweigen.

Aber man will sich wieder treffen, so beschlossen es die rund 200 TeilnehmerInnen, um das Crossover fortzusetzen. Christoph Seils

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