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Das lange Leiden der Sympathisantin

Giovanna Maria hat Leute versteckt, die im Italien der Siebziger als Terroristen gesucht wurden. Während die Exchefs der Roten Brigaden Bücher herausgeben, gehen die Mitläufer vor die Hunde  ■ Aus Turin Werner Raith

Der Tag, an dem sich für Giovanna Maria nach sieben Jahren die Gefängnistore in einem kleinen Provinzknast nahe Rom öffneten, war grau und neblig: „Eigentlich so richtig im Kontrast zu dem, wie ich mich hätte fühlen sollen“, sagt sie, „aber im Grunde passend.“ Das Wiedersehen mit der Familie reduzierte sich auf eine Schwester, die sie abholte und zur Mutter ins Krankenhaus brachte – offene Venenentzündung, eine hochgefährliche Sache nach bereits zwei Infarkten. Kurze Besuchsversuche bei Schulfreundinnen, aber „ob die sich verleugnen ließen oder wirklich nicht da waren, habe ich nicht herausgebracht.“

Giovanna Maria gab auf, zog sich in die Kammer zurück, die ihr die Schwester in ihrer Dreizimmerwohnung eines heruntergekommenen Mietshauses am Rand von Turin zur Verfügung gestellt hatte. „Das Schlimme war, daß ich in all den Jahren den Überblick verloren hatte, wer noch auf meiner Seite stand oder auf wessen Seite ich selbst stehe. Und ich habe ihn bis heute nicht wiedergefunden, diesen Überblick.“

Giovanna Maria war Mitte der 70er Jahre während ihres Studiums in Padua in die Studenten- und Arbeitergruppe Lotta Continua und später in die Potere Operaio („Potop“) des legendären Politologen Toni Negri eingetreten. Sie war immer Randfigur geblieben, bis zum 7. April 1979, als Staatsanwalt Calogero eine Blitzaktion gegen die Potop startete: Mehrere hundert Genossen wurden unter dem Verdacht festgenommen, die eigentlichen Köpfe der Terrororganisation Rote Brigaden zu sein. Ein halbes Dutzend gerade noch ausgebüxter Potop-Mitglieder kam auf Giovanna Maria zu und bat um Unterschlupf – den sie in ihrer kleinen Heimatstadt in Piemonte gewährte, „wie ich ihn jedem gewährt hätte, von dessen Schuld ich nicht überzeugt war“.

Es blieb nicht dabei, daß sie Mitglieder der Potop beherbergte – bald brachten auch andere Untergrundgruppen ihre gefährdeten Mitglieder zu ihr. Einige standen den Roten Brigaden nahe, obwohl die Potere Operaio mit diesen herzlich verfeindet war – aber Maria Giovannas Zuverlässigkeit schien allen eine Garantie. Möglicherweise, so vermutet sie heute, war unter diesen Leuten auch ein Spitzel, der sie später auffliegen ließ.

Bis dahin verging aber noch einige Zeit: Manches Mal, wie sie vor Gericht einräumte, brachten die Genossen auch verdächtige Säcke und Pakete mit, „in denen durchaus Pistolen oder Handgranaten oder auch geraubte Gelder dringewesen sein könnten“. Und dann passierte es: Während sie einen der Untergeschlüpften zum Zug nach Paris brachte, wurden sie kontrolliert. Zunächst fiel den Polizisten nichts auf, aber der Mann erwies sich später als relativ wichtiger Rotbrigadist, und da die Polizei über alle Kontrollen ein Protokoll anfertigt, wurde Giovanna Maria der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.

Mehrere hundert Frauen und Männer sind so in die Mühlen der italienischen Justiz geraten – und ihre Strafen überstiegen oft das, was die Mörder der Roten Brigaden und der Prima Linea abzusitzen haben, der zweiten großen Untergrundorganisation der Linken in den 70er Jahren. Denn das Gesetz läßt Strafnachlässe bis zu zwei Dritteln zu – wenn die Verurteilten Wichtiges über die Organisation aussagen. Giovanna Maria wußte nicht viel Wichtiges auszusagen.

Im Gefängnis hat sie über die Leute nachgedacht, denen sie da geholfen hat. „Ihre Ziele sah ich meist ein, wenn auch nicht die Mittel“, sagt sie, „doch was mich immer wieder abgestoßen hat, war die Arroganz der Führungskader. Die erklärten einem nichts, die forderten nur blinde Gefolgschaft.“

Ihre Eltern zerstritten sich wegen ihr, „mein Vater warf meine Mutter dreimal hinaus, nachdem sie bei mir im Gefängnis war: Ihm waren die Anwaltskosten zu hoch. Meine Mutter brach immer wieder zusammen. Sie hatte einige der Flüchtlinge persönlich an die Luft gesetzt, als diese frech wurden und uns gar bestahlen. Doch als einfache Hausfrau, noch dazu aus dem ländlichen Milieu, waren ihre Mittel damit schon erschöpft. Die Sorge hat ihre Gesundheit ruiniert.“

Während sie von ihrer Mutter spricht, kommen Giovanna immer wieder die Tränen: Sie drückt ein kleines Bild von ihr, das sie auf ihrem Tisch stehen hat, ans Herz. „Und was haben wir dafür gekriegt“, sagt sie, „für all den Einsatz? Isolierung, Vorwürfe der Exgenossen, gemeine Schimpfworte! ,Dreckige Hure‘ war noch das vornehmste. Und das Schlimmste: Ich fühlte mich auch so, manchmal noch heute. Aber nicht, weil ich irgend jemanden von denen verraten hätte, sondern weil ich meine eigenen Prinzipien verraten habe, die mir sagten, daß man mit Gewalt nur Böses anrichtet. Ich bin zur Komplizin von Menschen geworden, die ohne Skrupel töten konnten und das bis heute nicht so recht bereuen.“

Sie zieht die Schranktür auf, hebt Kleider hoch, buddelt eine Schachtel aus: „Acht Bücher habe ich bis jetzt gezählt von den großen Führern der Roten Brigaden, von den Gründern Renato Curcio über Alberto Franceschini bis Laura Braghetti, die jetzt ein unsägliches Werk gemeinsam mit der faschistischen Bombenlegerin Francesca Mambro geschrieben hat. Und mehr als ein Dutzend von den großmächtigen Oberen der Lotta Continua und der Potere Operaio, mein einst angebeteter Toni Negri zuvörderst. Alles unglaubliche Selbstbespiegelungen, oft beleidigen sie gar noch die Leute, die ihnen geholfen haben.“

Das Zimmer, in dem Giovanna Maria noch immer wohnt, zeigt den Versuch, noch einmal irgendwie an die Zeit vor diesen bösen Jahren anzuknüpfen; Bilder aus ihrer Kindheit, von dem Hund, mit dem sie damals spielte und den sie allzugern besessen hätte, der aber den Nachbarn gehörte; die Abiturklasse, von der sie minutiös weiß, wer von ihren früheren Kameradinnen heute was macht, wie viele Kinder sie haben, ob sie glücklich sind – und dies, ohne mit ihnen in Kontakt zu stehen, „weil die meisten da immer noch Probleme haben“. Einige Plüschtiere liegen auf dem Bett, nur ein Männerfoto steht, fast verschämt, hinter der Waschkommode: „Vielleicht wird er mich eines Tages heiraten“, sagt sie, als sie meinen Blick bemerkt, „aber noch hat er Angst, es seiner Familie zu sagen, für die bin ich noch immer das Terroristen-Flittchen.“ Giovanna Maria wollte nie heiraten, sah die Ehe immer als idiotische bürgerliche Veranstaltung an. Nur: „Sie wäre so etwas wie die Rehabilitierung, die Anerkennung, daß ich wieder gesellschaftsfähig bin, darum würde ich auch ja sagen.“

Ein verpfuschtes Leben? Giovanna Maria hebt die Schultern, trocknet noch einmal die Wangen ab: „Teilweise schon. Ein bitteres Leben zumindest.“ Sie zieht wieder einige der Bücher hervor, denen man ansieht, wie oft sie sie aufschlägt, liest vor, was sie als arrogant empfindet: „Curcios Sprüche, daß der bewaffnete Kampf ja kein Kindertheater sei und Leute, die damals umgebracht wurden, eben die Opfer einer geschichtlichen Situation wurden. Oder Franceschinis großer Nachruf auf die 1975 bei einem Feuergefecht umgekommene Mara Cagol, Curcios Frau, aber keine Zeile über die Frauen, der fünf ermordeten Eskortebeamten Aldo Moros.“

Giovanna Maria fühlt sich heute oft einsamer als damals im Gefängnis. „Es ist ja nicht so, daß ich dort keine Solidarität gehabt hätte, im Gegenteil. Aber sie kam nicht von den Exgenossen, sie kam von den sogenannten gewöhnlichen Gefangenen, Frauen, die gestohlen oder betrogen oder gemordet hatten und denen Politik überhaupt nichts bedeutete.“

Nur selten hat sie das Gefühl, daß Menschen noch so denken wie sie. Nanni Morettis neuester Film, „La seconda volta“ hat sie erstaunt, sie hat ihn sogar zweimal gesehen. „Eine der wenigen wirklichen Versuche, diese Zeit aufzuarbeiten“, sagt sie: „Ein Mann, den die Linksterroristen seinerzeit in die Beine geschossen haben, erkennt nach zwei Jahrzehnten die Frau wieder, die ihn damals verletzt hat, und verfolgt sie, um zu erkennen, was das für ein Mensch ist; erst danach beginnt er sein Leben zu bewältigen.“ Hineingegangen ist sie in den Film mit viel Widerstand und erst, nachdem sie eine Bemerkung des Regisseurs und Hauptdarstellers Moretti gehört hatte: „Die Brigadisten schreiben ihre Memoiren, treten in Talk- Shows auf und veranstalten Seminare, als sei da nichts gewesen. Wenn sie wenigstens ihren Mund halten würden.“ Das hat ihr aus der Seele gesprochen.

Giovanna Maria macht sich fertig zur Arbeit: Gartenharken auf einem kleinen Grundstück, das die Eltern noch in der „Campagna“ haben, nahe ihrer Heimatstadt. „Da sieht und hört mich kaum jemand, und wenn mal Leute vorbeikommen, grüßen sie freundlich.“ Eine Beschäftigung in ihrem Beruf als Sozialpsychologin hat sie sich längst abgeschminkt: „Betriebe nehmen mich nicht, weil ich für sie eine Exterroristin bin, der Staat nicht, weil ich vorbestraft bin.“ Und den politischen Gruppen gilt sie entweder als Verräterin oder als zu unbekannt.

Sie hat sich abgefunden mit ihren Blessuren und ihren Alpträumen. „Manchmal denke ich dann doch, daß Curcio recht hat – es ist halt ein Unglück, wenn man gerade da geboren ist und da zugange ist, wo sich große Dinge tun, mit denen man nicht mitkommt.“

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