■ Hoechst will Chemiewerk schließen – Grüne protestieren
: Verkehrte Welt

Im April 1993 stellte der hessische Umweltminister Joschka Fischer den Chemiestandort Griesheim der Hoechst AG noch in Frage. Ein Tröpfchen der aggressiven Chemikalie Oleum, die nach dem x-ten Störfall im ältesten Werk der Hoechst AG freigesetzt worden war, hatte dem Minister da gerade den Blazer ruiniert. Sollte die Hoechst AG in Zukunft den „schadenfreien Betrieb“ ihrer Anlagen nicht garantieren können, so Fischer, stehe der Chemiestandort mit seinen Arbeitsplätzen zur Disposition.

Knapp drei Jahre später steht fest: Die Hoechst AG konnte den „schadenfreien Betrieb“ ihrer Anlagen nicht garantieren. Die Störfälle gerade im maroden Werk Griesheim gingen erneut in Serie. Der neue Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG, Jürgen Dormann, will nun endlich Konsequenzen ziehen. Anlagen, deren Weiterbetrieb aus ökonomischen und/ oder ökologischen Gründen nicht zu verantworten sei, sollten in den nächsten zwei bis drei Jahren geschlossen werden. Es müsse auch überlegt werden, so Dormann, ob es nicht sinnvoll sei, das über 100 Jahre alte Chemiewerk in Griesheim ganz zu schließen.

Ein Aufschrei der Empörung kam aus dem Frankfurter Römer: Erst die Menschen verseuchen und dann auch noch ihre Arbeitsplätze vernichten, giftete etwa Lutz Sikorsiki von den Bündnisgrünen gegen Dormann. Und selbst Eduard Bernhard vom Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz sprach von der „Verantwortung“ der Hoechst AG für die Arbeitsplätze in Griesheim – und davon, daß der Konzern seine skandalöse Störfallserie nun als Argument für die aus ökonomischen Gründen schon längst geplante Schließung der Anlagen in Griesheim nutze. Verkehrte Welt. Ist nach allen Sicherheitsauflagen, die von Fischer nach der Störfallserie von 1993/94 erlassen wurden, nicht längst der Beweis dafür erbracht, daß die uralten Giftküchen in Griesheim nicht (mehr) saniert werden können? Umweltfreundliche, nicht gesundheitsschädliche Produkte sollten in Griesheim mit modernen Anlagen hergestellt werden, forderten gestern die Bündnisgrünen. Den Laden abreißen und neu aufbauen? Wer soll das bezahlen? Hoechst etwa?

„Chemie ist Leben“ wirbt die Chemieindustrie. Chemieanlagen in Wohngebieten können sofort tödlich sein. Und sie können langsam töten – etwa durch die Freisetzung krebserregender Substanzen. Also, Hoechst, hau weg das Zeug! Klaus-Peter Klingelschmitt