Grundig ist ziemlich gründlich ruiniert

■ Der Verlust für 1995 war doppelt so hoch wie vermutet. Mehr als ein Drittel der 11.500 Beschäftigten soll jetzt gehen

Berlin (taz/dpa/AP) – Grundig steht schon lange auf der Liste der bedrohten Firmen. Doch daß von den derzeit 11.500 MitarbeiterInnen noch einmal etwa 3.300 gehen müssen, hat selbst PessimistInnen überrascht. Die Manager nennen die Entlassungswelle „zweite Restrukturierungsstufe“ – denn seit 1991 wurden schon insgesamt 10.000 Leute entlassen. Die Grundig-Chefs hatten über Jahre versucht, das Unternehmen schönzureden und mit unrealistisch hohen Umsätzen geplant. Wo die angesichts der starken Konkurrenz und einem schrumpfenden Elektronikmarkt herkommen sollten, blieb unklar.

Laut dem Sanierer und Vorstandschef Pieter van der Wal hat Grundig 1995 bei einem Umsatz von 3,5 Milliarden Mark einen Betriebsverlust von etwa 330 Millionen Mark eingefahren. Dazu kommen noch einmal an die 270 Millionen Rückstellungen für die Sozialpläne der bald Entlassenen. Letzen April war noch von einer „schwarzen Null“ die Rede, im August dann von etwa 130 Millionen Mark Minus.

Die Grundig-Miesen verhageln auch die Bilanz des niederländischen Philips-Konzerns. Er übernimmt im Rahmen eines Beherrschungsvertrags vollständig die Verluste der Fürther. Die Niederländer dürften langsam die Geduld verlieren. Mit den neuen Massenentlassungen versuchen sie noch einmal, das deutsche Elektronikunternehmen zu sanieren. Wenn's klappt, wird Grundig eventuell an den Meistbietenden verkauft. Wenn nicht, wird das einstige Vorzeigeunternehmen dichtgemacht.

Dabei war Grundig einer der Wirtschaftswunder-Kometen. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der ehemalige Radioverkäufer Max Grundig die Firma gegründet. Der erste Durchbruch kam mit dem Selbstbausatz „Heinzelmann“: Offiziell ein Spielzeug, in Wahrheit aber ein Radio, das unter Umgehung der alliierten Verbote ohne Bezugsscheine gekauft werden konnte. Das Unternehmen expandierte bis in die siebziger Jahre mit immer neuen Produkten wie Kofferradios, Tonbändern, Fernsehern und Videorekordern zu einem weltweit führenden Hersteller.

Später wurde „der Alte“, wie die Arbeiter Max Grundig nannten, jedoch immer starrsinniger. Die Konkurrenz überholte den Fürther Konzern. 1984 trat Grundig die Flucht nach vorne an und verkaufte ein knappes Drittel seiner Aktien an Philips. Trickreich rechnete er dafür den Konzern gesund und konnte sich, später seiner Familie und einer Stiftung eine jährliche Dividende von 50 Millionen Mark bis ins Jahr 2004 heraushandeln – unabhängig vom Gewinn der Firma. Dafür hat Philips aber durch eine komplizierte Vertragskonstruktion zu hundert Prozent das Sagen und das Risiko.

Durch die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 und die Wiedervereinigung stieg der Absatz der Fernsehgeräte kurzzeitig stark an: Bis 1991 nahmen die Niederländer mit Grundig etwa 700 Millionen ein. Seitdem haben sie jedoch über eine Milliarde Mark in die Sanierung der Firma gesteckt.

Die Entlassungen treffen wieder einmal das ehemalige industrielle Herz Bayerns, die Region um Nürnberg und Fürth. Die Arbeitslosenquote in Fürth lag Ende Dezember bereits bei 12,4 Prozent. 1.900 der Stellen auf der Grundig-Abschußliste liegen in der Region. Der Versandhausriese Quelle mit Sitz in der Stadt will bis Ende diesen Jahres ebenfalls weitere 1.700 Stellen streichen oder nach Leipzig verlagern. Grundig- Aufsichtsratschef und Ex-Postminister Christian Schwarz-Schilling forderte denn gestern auch Hilfe von der Regierung: „Wenn ein Raum staatlicher Strukturpolitik bedarf, dann ist es dieser“, so Schwarz-Schilling.

Bei Grundig haben die Arbeitnehmervertreter konkrete Vorstellungen, wie es weiter gehen soll: „Grundig muß sich einerseits auf die klassischen Bereiche Fernsehen und Radio besinnen“, sagt Detlef Thiede, Betriebsratsvorsitzender der Grundig-Gesellschaften in Fürth. „Wir müssen aber auch mit voller Kraft in Bürokommunation, Multimedia, Telekommunikation und digitales Fernsehen investieren. Dann könnte es bergauf gehen.“ rem