: Türen in die Bilder machen
■ Die Kunsthalle betont 80 Selbstporträts aus ihrer Sammlung
Wenn Augen besonders intensiv aus dem Bild gucken, liegt die Vermutung nah, vor einem Künstler-Selbstbildnis zu stehen. Dabei ersetzt der Betrachter nur den Spiegel, in dem sich einst der Maler sah. Und doch scheint dabei eine intensive Begegnung mit dem Wesen einer gemalten Person stattzufinden.
Mit 80 Exponaten widmet die Kunsthalle dem Thema Selbstbildnisse eine Ausstellung. Doch die ist nicht, was man sich gemeinhin unter einer Sonderausstellung vorstellt. Zwar ist von Hans Burgkmairs Profil in einer Kohlezeichnung von 1517 bis zum großen Druck „La Rivoluzione siamo Noi“ mit der kräftig schreitenden Figur von Joseph Beuys ein ganzes Spektrum programmatischer Künstlerbildnisse zu sehen, die aber sind einfach im Kontext der chronologischen Dauerausstellung verblieben. Von zwei Räumen mit Blättern des Kupferstichkabinetts abgesehen, werden die ausgewählten Werke durch kleine Pultsäulen mit Beschriftung direkt neben den Bildern kenntlich gemacht. Sehr persönliche Texte von Kunsthallenmitarbeitern „öffnen Türen zu den Bildern“, wie Kurator Christoph Heinrich es formuliert. Wie in einem Katalog finden Bild und schriftliche Deutung nah zueinander. Erstaunlich, daß die didaktischen Positionen der 70er Jahre, in denen die Kunst angesichts erläuternder Texttafeln fast unwichtig wurde, sich hier vorsichtig wiederbeleben.
Das Verfahren der verstreuten Schwerpunktsetzung bringt den Besucher dazu, sich im Suchen eine eigene Ausstellung zu erwandern und dabei die Sammlung wieder einmal neu zu sehen. Wann fällt sonst in Adriaen Valks großem Stilleben die gemalte Rötelzeichnung auf, ein Selbstbildnis, das zwischen den üblichen Dingen eines Stillebens um 1660 wie eine Signatur funktioniert? Auch in religiösen Historienbildern versteckt sich in Renaissancetradition als Beweis der Teilhabe unter den zahlreichen Personen das Selbstbild des Malers: so bei Julius Schnorr von Carolsfelds „Die Hochzeit zu Kana“ von 1819. Ob historisch verbrämt oder im Gestus eines barocken Herrscherbildes, ob voller Selbstzweifel oder im gesicherten Kreise der Familie, seinen Status und seine Ideale weiß der Künstler zu aller Zeit mit ausgewählten Attributen ins Bild zu setzen. G. L. Eckhardt malt sich noch 1790 zusammen mit seiner musizierenden Schwester in trauter Runde mit den Eltern. Doch die idyllischen Sicherheiten zerfallen in Revolutionen. Die Aufklärung zeigt auch ihre Kehrseite der Zweifel und Schrecken. So ist die nicht identifizierbare Person auf Goyas berühmtem Druck „Der Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer“ ursprünglich als Selbstporträt geplant. Die Familie verliert langsam an Bedeutung, der neue Beziehungsbegriff wird die Wahlverwandtschaft; Goethe gibt 1809 seinem neuen Roman das Wort zum Titel. In der Malerei entspricht dem das neue Genre des Freundschaftsbildes: Doppelbildnisse von Kollegen im Dialog über die Kunst. Besonders interessant ist hier das „Selbstbildnis mit der Pflegetochter Lina Gröger und dem Maler H. J. Aldenrath“ von Friedrich Carl Gröger um 1805. In dieser Travestie eines traditionellen Familienbildes ist das Mädchen vor der Staffelei zwischen beiden nicht nur die „Tochter zweier Väter“ in Lebensgemeinschaft, zugleich erinnert sie an die „pictura“, die Personifikation der Malerei.
Hajo Schiff
Kunsthalle, bis 14. April.
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