So artikuliert wie glattrasiert

■ Multikulturelles zwischen Burschenschaft und Lummer

„Masseneinwanderung steht dem Menschenrecht auf Heimat entgegen.“ Diese und einen Sack weiterer Nationalweisheiten verbriet Heinrich Lummer am Dienstag abend während seiner Rede über die „multikulturelle Gesellschaft“ in den Räumen der Burschenschaft „Hansea Alemannia“ im Nobelviertel Harvestehude.

Lummer, rechtslastiges Mitglied des Bundestags und ehemaliger Berliner Innensenator, konnte seine völkischen Thesen ungestört vortragen. Zwar hatte die Polizei eine Kundgebung von rund zwei Dutzend autonom-antifaschistischen DemonstrantInnen vor dem „Hansea“-Haus noch zugelassen. Dann jedoch sperrte eine Hundertschaft die gesamte Straße ab.

Die Burschenschaftler selbst schauten sich die Leute, die sie reinließen, auch recht genau an – allerdings war es ihnen schon peinlich, die Taschen der fremden Gäste zu durchsuchen und nachzufragen, woher frau denn von der Veranstaltung erfahren habe. Schließlich will die „Hansea Alemannia“ als tolerant gelten und gibt sich „hanseatisch liberal“, wie von einem engagierten Mitglied zu erfahren war. Und frauenfreundlich obendrein – immerhin vier Frauen befanden sich unter den Zuhörern.

Die Diskussion, die sich Lummers Vortrag anschloß, stand denn auch ganz im Zeichen solch „liberal“ besetzter Themen wie Asyl, Einwanderung und andere Ausländerfragen. „Sechs Millionen Ausländer sind zuviel!“, tönte Lummer und berief sich abwechselnd auf Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Einigkeit bestand darüber, daß Utopien etwas Nettes seien, „doch die Menschen sind nicht so“: „Nirgends auf der Welt hat Multikulturalismus je funktioniert“, lautete die Aussage eines „alten Herren“, der wie die meisten anderen mit seinem Vereinsmützchen in den Verbindungsfarben erschienen war. Beifall. „Von ,ausländischen Mitbürgern' zu reden“, so ein weiterer Redner, „ist das gleiche, wie von ,mitchristlichen Muslimen' zu sprechen.“ Gelächter.

Nicht, daß in dem mit Fotos, Degen und Vereinskappen dekorierten Raum nur dumpf-bierseliger Stammtischgeist geherrscht hätte. Mindestens so artikuliert wie glattrasiert, so geschmäcklich gekleidet wie in der Sprache der political correctness versiert, verbreiteten die rund vierzig anwesenden Männer stilvollen Frohsinn, vermischt mit bedächtiger Sorge um den Zustand der Nation.

Raffiniert vor allem die Art und Weise, sich systemtheoretische Argumentation zu eigen zu machen. „Es gibt keine organisierte Rechte“, erklärte ein Hanseat mit einer drei Monate alten Narbe an der Wange (die Mensur – das Zerschneiden des Gesichts mit dem Degen – „hält die Verbindung zusammen“) der taz-Reporterin. „Wir werden bloß dazu erklärt, um als Sündenböcke für gesellschaftliche Mißstände herzuhalten.“ rike