: Zwei Russen im Schnee
Der Chef der Kommunistischen Partei und der führende Reformpolitiker Russlands lieferten sich ein Rededuell auf dem Weltwirtschaftsforum ■ Aus Davos Dietmar Bartz
Über das Weltwirtschaftsforum, das alljährliche Managertreffen im schweizerischen Wintersport-Zentrum Davos, schrieb der US-amerikanische Publizist William Safire einmal: „Man kann hier keinen Schneeball werfen, ohne einen russischen Reformer zu treffen.“ In diesem Jahr fiel nicht so viel Schnee, und der Star dieses Jahres war der größte Gegner der Reformer: Gennadi Sjuganow, Chef der kommunistischen Partei Rußlands. Für die Präsidentschaftswahlen im Juni ist Sjuganow der aussichtsreichste Kandidat. Kein Wunder, daß sich die internationalen Konzernlenker in Davos danach drängten zu erfahren, wie sein wirtschaftspolitisches Programm ausschaut.
Gegen ihn trat – auch in Davos – Sjuganows aussichtsreichster Gegenkandidat, der Reformpolitiker Gregori Jawlinski, an. Nach Meinungsumfragen führt Sjuganow derzeit mit 14 vor Jawlinski mit elf Prozent; der derzeitige Amtsinhaber Jelzin liegt bei fünf Prozent.
Das vorbereitete Rededuell zwischen beiden – vor mehreren hundert Top-Managern – hätte einer der Höhepunkte des diesjährigen Forums werden können, wären die Waffen nicht so ungleich verteilt gewesen. Sjuganow, ein strenger, massiger, fast kahler Mann, der über eine Dolmetscherin sprechen mußte, wirkt wie ein Apparatschik. Jawlinski hingegen, wie immer bleich vor Engagement und fahrig bis kurz vor dem Herzinfarkt, spricht fließend Englisch. In fast lächerlichem Maße scheinen die beiden einem Klischee zu entsprechen. Für Jawlinski trifft das nicht zu: Er ist selbst stilbildend für den Prototyp des russischen Reformers. Schon in der Diktion trennen die beiden Abgründe. Wo Jawlinski auf Fragen mit Ja oder Nein oder einem Gesprudel von Sätzen antwortet, auch wenn er nicht immer ganz überzeugt von der eigenen Aussage zu sein scheint, reagiert Sjuganow oft verwaschen mit: „Unsere Experten werden das Problem studieren und angemessen lösen“, „Wir werden Konsultationen abhalten“ – „Das wird die künftige Entwicklung zeigen.“
Percy Barnevik, der Chef des Elektro-Mischkonzerns ABB, fragte Sjuganow, ob er akzeptieren würde, daß ein Investor die Hälfte der Belegschaft entlassen würde, wenn dort doppelt so viel Menschen arbeiten wie nötig. Sjuganows wörtliche Antwort: „Sie haben eine zu pessimistische Sicht. Das Hauptproblem sind die zusammengebrochenen Strukturen. Bei uns sind 20 Millionen Menschen unterbeschäftigt.“
Blutbad von Wladiwostok bis Murmansk
Die politischen Hauptparolen von Gregori Jawlinksi und Gennadi Sjuganow sind Anti-Jelzin-Forderungen und einander ganz ähnlich: Beendigung des Krieges in Tschetschenien, Auszahlung der überfälligen Löhne, gleiche Besteuerung aller Firmen inklusive des noch immer unter dem Einfluß von Premierminister Tschernomyrdin stehenden staatlichen Energieriesen Gazprom.
In der Privatisierungsfrage benutzten sie sogar fast identische Bilder: „Ich weiß genau, daß es Schießereien von Murmansk bis Wladiwostok geben würde, wenn wir mit Enteignungen anfangen würden“ (Sjuganow), „Das gäbe ein Blutbad“ (Jawlinski).
Doch ansonsten leben die beiden auf zwei verschiedenen Kontinenten. Gespenstisch: Sjuganow benutzt die altkommunistische ökonomische Terminologie, die von jungen Übersetzern gar nicht mehr ohne Wörterbuch ins Englische übersetzt werden kann.
Für Sjuganow sind die Auslandsinvestitionen in Rußland eine zu vernachlässigende Größe, weil sie so gering sind. Das ist für Jawlinski gerade das Problem. Jawlinski befürwortet den Neun-Milliarden-Dollar-Kredit des IWF, der gerade mit Jelzins Regierung verhandelt wird – unter der Bedingung, daß dieses Geld nicht für den Tschetschenien-Krieg verwendet werden darf. Sjuganows Antwort: Rußland habe schon 130 Milliarden Dollar Auslandsschulden, und das Land werde nicht reicher, wenn man immer mehr Schulden mache.
Jawlinski wirft Sjuganow vor, bei Wirtschaft nur an eines zu denken: ihre Kontrolle. Daraus macht Sjuganow auch gar keinen Hehl: „Wer immer als nächster an die Macht kommt, wird etwas unternehmen müssen, damit der Staat die Wirtschaft besser regulieren kann. Und um zu entscheiden, in welchem Bereich der Staat einen kontrollierenden Einfluß behalten soll.“ Nur ist der Kommunistenchef zutiefst davon überzeugt, daß dies den politischen und wirtschaftlichen Zerfallsprozeß umkehren würde. Öffentlich spricht er nur davon, daß illegale Privatisierungen auf gesetzmäßigem Weg rückgängig gemacht werden sollten. Aber in Davos erzählten russische Zeitungsleute, daß Sjuganow gegenüber einem russischen Fernsehjournalisten erklärt habe, daß er am Tag nach seiner Wahl die Liste der Betriebe durchgehen würde, um festzulegen, bei welcher Privatisierung gegen die Interessen des Staatses und der Arbeiter verstoßen wurde.
So übel die politisch-wirtschaftlichen Perspektiven sind – der soeben aus der Regierungsmannschaft gefeuerte Reformer Anatoli Chubais sieht doch noch ein kleines Licht am Ende des Tunnels. Zwar habe Sjuganow eine echte Chance, Präsident zu werden. Aber diese Wahl sei die letzte Chance der Kommunisten überhaupt. Weil sie nichts von der Wirtschaft verstünden, würden sie nach sechs Monaten ihre letzten Unterstützer verloren haben.
Soweit ist es aber noch nicht. Auf die Frage des demokratischen US-Senators Bill Bradley, warum Jawlinskis glaube, daß er besser sei als Jelzin, antwortete Jawlinski: Weil ich elf Prozent habe und er fünf. Auf die gleiche Frage von Bradley an Sjuganow antwortete dieser wie aus der Pistole geschossen: Weil ich vierzehn habe! Und das war in Davos das einzige Mal, wo Sjuganow die Lacher auf seiner Seite hatte.
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