: Kroaten stürmen EU-Sitz in Mostar
■ Demonstranten protestieren gegen einen Schiedsspruch des EU-Administrators Hans Koschnick
Tuzla (taz) – Aus Protest gegen einen Plan zur Bezirkseinteilung von Mostar haben kroatische Demonstranten den Sitz der EU-Verwaltung in der herzegowinischen Stadt gestürmt. Die Menge griff auch das Auto des EU-Administrators der Stadt, Hans Koschnick, an. Ein Sprecher der Demonstranten drohte, ihn zu lynchen. Koschnick entkam nur mit Hilfe seiner Eskorte.
Der Bürgermeister des kroatisch dominierten Teils der Stadt, Mijo Brajković, kündigte den Abbruch aller Beziehungen zur EU-Verwaltung an. Erst am Nachmittag konnte nach Angaben eines EU-Sprechers „die Ruhe“ wiederhergestellt werden. Auf die Frage, wie es nun in Mostar weitergehe und ob Koschnick in Gefahr sei, sagte er: „Ich habe keine Ahnung. In Mostar ist alles möglich.“
Der Verwaltungsplan, der gestern von Koschnick in Form eines Schiedsspruches vorgestellt worden war, rührt an elementaren Interessen der kroatischen Nationalisten in Mostar. „Die Teilung der Stadt Mostar soll überwunden werden“, hatte Koschnick das Ziel des Plans umrissen. Seinen Vorstellungen nach wird Mostar in Zukunft aus sieben Verwaltungsbezirken bestehen: Je drei sind kroatisch oder muslimisch dominiert. Der siebte Bezirk soll neutral sein und von beiden Seiten gemeinsam verwaltet werden. Er wird nicht nur Teile des historischen und des modernen Zentrums der Stadt umfassen, sondern auch die Wasserkraftwerke, den Flughafen und den Bahnhof. Um diesen letzteren Bezirk hatte es schon seit Wochen Auseinandersetzungen gegeben. Die Kroaten versuchten, den gemischten Bezirk so klein wie möglich zu halten, während die muslimische Seite eine maximale Größe anstrebte. Beide Seiten einigten sich schließlich darauf, Koschnick die Entscheidung zu überlassen. Nach Rücksprachen mit EU-Vertretern sowie nach Gesprächen mit Kroatiens Präsident Franjo Tudjman und der Regierung in Sarajevo entschloß sich Koschnick für eine Lösung, die den Kroaten viel Kompromißfähigkeit abverlangt.
Angesichts der internen Machtstrukturen im kroatisch dominierten Westmostar ist es wenig wahrscheinlich, daß das Diktum doch noch angenommen wird. Widerstände sind vor allem von den nationalistischen Extremisten innerhalb der „Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ) zu erwarten, die Westmostar zur Hauptstadt des nicht anerkannten kroatisch-bosnischen Teilstaates Herceg- Bosna ausbauen wollen. Die ethnische Trennung als Voraussetzung für das Überleben der Kroaten in Bosnien durchzusetzen ist deren politische Doktrin. Gegen einige ihrer Vertreter wird vom Kriegsverbrechertribunal ermittelt. In den letzten Wochen war es Koschnick allerdings gelungen, Tudjman die Zusage abzuringen, Herceg-Bosna in die Föderation mit dem muslimisch dominierten bosnischen Reststaat aufgehen zu lassen. Tudjman hatte bisher seine schützende Hand über die Extremisten in Westmostar gehalten. Selbst einige der als Kriegsverbrecher Gesuchten wurden von ihm wegen ihrer „Leistungen im Krieg“ persönlich ausgezeichnet.
Erich Rathfelder Siehe Seite 2
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