piwik no script img

Weiterwursten wie gehabt

■ Geschlachtet wird im Schanzenviertel derzeit nicht – der Schlachthof-Pächter hat aufgegeben / Zulieferbetriebe sind optimistisch Von Iris Schneider

Große Alukisten auf Rädern werden auf der Kampstraße über grau-schwarzes Eis gerollt, bis zum Rand mit Schweinepfoten gefüllt. Plötzlich ist Schluß, ein eisernes Tor versperrt den Weg zum Schlachthof. Ein Mann im weißen Kittel zückt seine Chipkarte, die Tür geht auf, und der Weg auf das Schlachthofgelände ist frei.

In der Halle des Fleischgroßmarkts mitten im Schanzenviertel wird gearbeitet, als sei alles beim alten. Daß die Schlachtanlage vor einer Woche von ihrem Betreiber, der Firma Annuss aus Niebüll, stillgelegt worden ist, scheint den Betrieben, die hier die Tiere zerlegen und als Hälften, Viertel oder Portionen verkaufen, wenig auszumachen. „Zu geringe Auslastung“, war die Begründung des Pächters. Von 80 Prozent sei sie auf 30 Prozent runtergegangen. Wieviele Tiere für 30 Prozent Auslastung täglich ihr Leben lassen mußten, kann Junior-Chef Reinhard Annuss aber nicht sagen.

Als Grund für den Rückgang führt er die EU-Subventionen für den Transport lebender Schlachttiere an. „Ich weiß gar nicht, wieviele Viehzüchter in Schleswig-Holstein überhaupt Tiere exportieren“, bezweifelt dagegen Hans Guthold von der Fleischgroßmarkt GmbH diese Erklärung. Er vermutet eher firmeninterne Gründe für die Schließung. Gleichzeitig betont er: „Wir haben immer gut zusammengearbeitet.“ Existentiell betroffen sind die 90 Firmen, die Gesellschafter der Fleischgroßmarktgesellschaft sind, aber nicht. Ein Drittel des verarbeiteten Fleisches bezogen die Zerleger bisher aus der Kompaktschlachtanlage. „Diese einmalige Kombination aus Schlachthof, Kühlhaus und Großmarkt auf demselben Gelände muß erhalten bleiben“, fordert Guthold die Stadt auf, so bald wie möglich einen neuen Pächter zu finden. Wolfgang Becker, Sprecher der Wirtschaftsbehörde bestätigt entsprechende Bemühungen, obwohl der Pachtvertrag mit Annuss noch bis 2003 läuft.

In der Zwischenzeit sehen sich die Hamburger Großhändler nach anderen Lieferanten um. Und die sollten leicht zu finden sein. Rund um Hamburg gibt es eine Reihe von Schlachthöfen, und in Mecklenburg sind in den vergangenen Jahren weitere Anlagen nach neuesten Standards entstanden.

Ganze Schweine hängen in langen Reihen an Haken, Männer in weißen Kitteln, die von der Arbeit mit dem Fleisch schmuddelig rosa geworden sind, hantieren mit langen Messern. Kunden schleppen Kisten mit Fleisch aus der Halle. „Ich kauf' sowieso nur Fleisch aus Schleswig-Holstein“, sagt ein Hamburger Fleischer auf die Frage nach den Folgen der Schließung für sein Geschäft. Bei den in Hamburg geschlachteten Tieren hätte man kaum nachvollziehen können, aus welchem Stall das Vieh stammte. „Ich hab das einmal versucht“, sagt der Metzger, „das hat 14 Tage gedauert. Bei dem Fleisch aus kleineren Schlachtungen habe ich immer gleich einen Laufzettel dabei. Da weiß ich, wo es herkommt.“

1988 sind die Schlachtanlage und die Großhandelshalle eingeweiht worden, entsprechend neu wirkt die Anlage. Hinter großen Fenstern sind die Zerleger bei der Arbeit zu sehen. Betreten darf man den Arbeitsbereich aber nur in „EU-tauglicher Schutzkleidung“. 30 Millionen hat die Stadt Hamburg damals in den EU-gerechten Ausbau des Schlachthofs investiert – obwohl es schon Anfang der 80er Jahre Stimmen gab, die das Töten und Verarbeiten von Tieren mitten in der Stadt für nicht mehr zeitgemäß hielten.

So hatte die Stadtentwicklungsgesellschaft in ihrem Erneuerungskonzept von 1985 für den südlichen Teil des Geländes Wohnhäuser, ein kommunales Zentrum und einen Park mit Spielplatz geplant. Mitte der 90er Jahre ist von diesen Plänen nur noch das Zentrum im Gebäude der ehemaligen Rinderschlachthalle übrig geblieben.

1993, fünf Jahre nach dem kostspieligen Umbau des Schlachthofs, wurde der Landesbetrieb privatisiert und für 700.000 Mark im Jahr verpachtet. Mit dem Pächter aus Nordfriesland kamen die Tore. „Früher konnte man hier einfach durchgehen, jetzt müssen wir jeden Monat 100 Mark für den Schlüssel zum Tor zahlen“: Die Verkäuferin bei Georg Hugel „Natur- und Kunstdärme, Gewürze, Speckschneiden“ findet so ein Geschäftsgebaren gar nicht lustig.

Zwar bedauert sie die Schließung der Schlachthalle, „aber wir machen nicht zu“. Eine Stimmung, die auch von den anderen Zulieferbetrieben vor den Toren des Schlachthofes geteilt wird. Neben Gewürzen, Därmen und Berufsbekleidung ist auch „Technik für Fleischwirtschaft und Küche“ im Angebot. Kunden sind vor allem die Zerlegebetriebe, und die werden so schnell nicht vom Schlachthof verschwinden.

„Schade für Hamburg, schade für das Viertel“, bedauern die Alteingesessenen im Schanzenviertel die Stillegung der Schlachtanlage. Und dann machen sie Andeutungen, aus denen man entnehmen kann, daß sie damit aber nicht den Pächter und seine Geschäftspolitik meinen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen