Fisch per Flieger

■ In Bremerhaven arbeiten rund 4.500 Menschen „im Fisch“, doch die Umschlagquoten werden immer geringer. von Joachim Fahrun

Das Schicksal der Bremerhavener Fischindustrie, sagen Experten, hängt an der Fischauktion. Ohne sie verlöre der Fischereihafen seine zentrale Bedeutung für die deutsche Fischwirtschaft. Die Mengen, die in der Auktionshalle umgesetzt werden, sinken jedoch dramatisch. Fabrikschiffe liefern zudem immer weniger Tiefkühlfisch im Fischereihafen ab.

LKW-Ladungen mit skandinavischem Frischfisch lassen sich inzwischen per Fax oder Computerleitung termingenau an jeden Ort Deutschlands bestellen, sagt ein Händler. Immer mehr frischer Fisch werde aus aller Welt eingeflogen. Wenn in der Karwoche der Appetit auf Fisch besonders groß ist, bezögen manche Betriebe bis zu 40 Prozent ihrer Filets auf dem Luftweg. Es bestehe also kein zwingender Grund, weiter den Umweg über die Fishtown im Norden zu machen, sagt Berndt von Schrötter, Geschäftsführer des Bundesverbandes des Fischgroßhandels in Berlin, der traditionell die binnenländischen Händler repräsentiert.

Dennoch werde die Auktion in Bremerhaven als Korrektiv noch gebraucht: Jeden Morgen wird hier der Marktpreis für Frischfisch ermittelt, an dem sich die Importeure orientieren. Fragt sich nur, wie lange auf dem Fischbörsen-Parkett noch real-stinkende Ware versteigert wird.

„Solange ich nach Fisch rieche, habe ich noch Arbeit“. Auktionator Bernd Ahrens weiß, was der gehaß-liebte Geruch für ihn und für Bremerhaven bedeutet, obwohl hier kaum einer der 4500 Beschäftigten „wirklich gerne im Fisch arbeitet“. Ahrens und seine Kollegen haben im letzten Jahr mit 18.500 Tonnen fast ein Viertel weniger Fisch umgesetzt als 1994. Als Grund für diese Entwicklung nennt die Fischereihafen-Betriebs- und Entwicklungsgesellschaft (FBEG), daß die isländischen Lieferanten etwa in gleichem Umfang - über 5.000 Tonnen - weniger frischen Fisch angelandet haben. Denn die Fangquoten sind rund ums nordatlantische Eiland heruntergefahren worden, auf vierzig Prozent dessen, was noch vor zehn Jahren aus dem Meer geholt worden war. Konkurrenz machen den Auktions-Trawlern zudem isländische Firmen, die ihren Fang direkt in Containern an die Großhändler schicken oder gleich zu Hause zu Filets verarbeiten und einfliegen.

Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels in Hamburg, der Vereinigung der küstennahen Betriebe, könnten 2000 der insgesamt 25.000 Beschäftigten der Branche über kurz oder lang durch den Direktimport ihren Job verlieren. Anfang Januar hatte die Karstadt AG, der größte Fischeinzelhändler Deutschlands, bekanntgegeben, isländische Flugfilets vom Kabeljau und Rotbarsch in ihren Fischtheken feilzubieten. Entsprechend verschnupft waren die Reaktionen in Bremerhaven.

Noch nimmt allerdings das morgendliche Ritual in Halle 10 des Fischereihafens seinen traditionellen Lauf. Kurz vor sieben: Schweigsame Männer stehen mit den Händen in den Taschen in der zugigen Weite. Die „Skagfirdingur“ hat erstklassige Ware gebracht. 3.600 Zentner Rotbarsch. Alle schön schleimig, die Augen klar, die Kiemen rot. Da müssen sich die Händler nicht um die beste Qualität streiten. Auch die 40 Löscharbeiter, die in der Nacht den isländischen Trawler entladen und die Auktion vorbereitet haben, hatten es heute leicht: Fast alle Fische sind 15-20 Jahre alt und zwei Pfund schwer. 50 Fische passen in jede der weißen Plastikkisten, die für die Auktion in Blöcken von 140 Stück angeordnet sind. In der Halle wäre Platz für mehr. Von ihrer letzten Reise hatte die „Skagfirdingur“ 4.200 Zentner mitgebracht.

Nachdem Auktionator Ahrens mit seiner Protokollantin die rollende Versteigerungskanzel bestiegen hat, geht alles rasend schnell. Die kleine Gemeinde der 40 zugelassenen Großhändler aus Bremerhaven und Cuxhaven sowie einer Handvoll lokaler Fischhändler versteht das Spektakel im Schlaf. 1,18, 1,19, 1,20: Ahrens steigert in Pfennigbeträgen. Über ihre Handys empfangen die größeren Händler ihre Orders, die kleineren haben ihr Preislimit und ihren Bedarf im Kopf. Die Männer heben rasch die Hände, der Hammer saust aufs Pult. „Sechs Nuuul“ schreit der Auktionsgehilfe, trampelt über die Plastikkisten und wirft Zettel mit dem Namen des Händlers auf die Fische. Einer hat 60 Kisten gekauft.

Für 1,20 Mark geht das Pfund Rotbarsch weg. Zwei Drittel des Fisches gehen nach dem Filettieren als Abfall in die Fischmehlfabrik, erklärt Jochen Jantzen, Leiter der FBEG-Umschlagbetriebe. Die Auktion bringt in einer guten Viertelstunde 425.000 Mark. Rekord ist 1,2 Millionen.

Heute kämen die Isländer mit plus minus null raus, sagt der Schiffsmakler Samuel Heinsson. Die Besatzung, die am Erlös beteiligt ist, hat sich umsonst abgerackert. Die FBEG bekommt für das Löschen der Ladung 100 Mark pro Tonne und streicht vier Prozent des Auktionserlöses ein. Damit seien die Kosten nur schwer zu decken, sagt Jantzen. Man brauche Facharbeiter zum Löschen, die sicher und schnell das Gewicht und die Qualität eines Fisches abschätzen könnten. Die Händler müßten sich darauf verlassen können, daß die Kisten bis auf das Pfund genau gepackt seien. Jantzen verweist auf die Firmen, die in Bremerhaven von der Verarbeitung des auktionierten Frischfischs leben: Filettierbetriebe, Eisfabrik, Spezialspediteure und Verpackungsin-dustrie.

Wieviel bei der Auktion erzielt wird, ist für die landeseigene FBEG durchaus von Interesse. Sie ist neben der Auktion auch für die Vermietung von Lager- und Produktionsanlagen zuständig, für den Unterhalt des Hafengeländes und die Förderung der Fischwirtschaft.

„Eins dreißig wollte ich schon schaffen“, ärgert sich der Auktionator. An guten Tagen bringt solche Ware pro Pfund 2,60 Mark. Der eisige Winter hat die Wochenmärkte einfrieren lassen, damit sind die vielen Fischverkaufsautos stillgelegt.

Der Flugfisch ist gerade an solchen schlechten Tagen Thema im Fischereihafen. Meist geht es um Arbeitsplätze. Aber auch der Isländer Hreinsson hat seine Argumente gegen Flugfilets: Weil der Fisch auf dem Flug zur Kühlung begast wird, sei der gute Ruf des isländischen Fisches als naturbelassenes Lebensmittel in Gefahr. Es seien zwei Firmen, die zu Lasten der gesamten Fischwirtschaft das Geschäft mit dem Flugfisch machten. Zwar sei man auf der Insel, deren Export zu 75 Prozent vom Fisch abhängt, durchaus daran interessiert, weitere Verarbeitungsschritte zu übernehmen. Daß aber dafür „Chemie mit dem Fisch in Berührung komme“, sei nicht in Ordnung.

Die Meinung der Experten über gas-gekühlten Fisch gehen auseinander. Im Institut für Biochemie und Technologie der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg hält man den Transport von ohne Eis gekühlten Fischfilets jedoch für unbedenklich, wenn er nicht länger als maximal vier Tage dauert. In diesem Zeitraum bringt Karstadt nach eigenen Angaben seine Filets aus Island per Flugzeug nach Luxemburg und von dort per LKW über Bremerhaven auf die Fischtresen.

Wenn den Verbrauchern erzählt werde, die eingeflogenen Filets seien frischer, dann sei das unredlich, kontert Jochen Jantzen von der FBEG. Denn die Ware altere nach dem Zerschneiden entsprechend schneller. „Den Rotbarsch, den wir heute auktioniert haben, können Sie bedenkenlos eine Woche bis zehn Tage lagern“.

Die Werbung, mit der Karstadt seine Flugfilets anpreist, sei „Unsinn“: „Die tun so, als ginge der Fisch tagesfrisch von kleinen Kuttern auf die Filettiertische und ab ins Flugzeug.“ Dabei werde Rotbarsch mit bis zu drei Kilometer langen Netzen in einer Wassertiefe von 1.000 bis 2.000 Metern gefischt. Dazu brauche man schon einen Trawler wie die „Skagfirdingur“ und der sei mindestens zehn Tage auf Fangfahrt. Auf Island würden die Besatzungen dann die älteren Fische zum filettieren bringen, denn bei Auktionen könnten sie einen höheren Anteil für sich herausholen.

Karstadt hatte bei der Markt-Einführung seiner Flugfilets Anfang Januar eine kurz zuvor veröffentlichte Untersuchung der Stiftung Warentest als Marketinghilfe genutzt und den Bremerhavener Fischverarbeitern mangelnde Hygiene und Fehler bei der Verarbeitung vorgeworfen: Die Warentester hatten festgestellt, daß die meisten Seefische im Handel bakteriologisch bedenklich seien.

Die Hamburger Fisch-Forscher der Bundesforschungsanstalt können diese Erkenntnisse nicht bestätigen. Die Stiftung Warentest habe nur eine sehr geringe Zahl von Proben untersucht, heißt es dort. Zwar gebe es im Fischhandel sehr unterschiedliche Qualitäten. Ekelerregender oder gesundheitsschädlicher Fisch sei aber die absolute Ausnahme.

In der Essener Karstadt-Zentrale wird unterdessen berichtet, daß die Fischabteilungen inzwischen ihre Umsatzeinbußen nach der Veröffentlichung der Warentest-Studie wieder ausgeglichen hätten. Das führe man auch auf die Werbung für die frischeren Flugfilets zurück, so ein Sprecher. Für Jochen Jantzen sind dadegen die Berichte von vergammeltem Fisch in deutschen Geschäften ein weiteres Argument, warum die Fischauktion mehr bleiben müsse als eine reine Preisbörse. Nur hier könne der Händler mit eigenen Augen Frische und Qualität der Ware prüfen. „Wenn sie Filets ordern, kaufen sie die Katze im Sack“.