: Gefundenes Fressen
Dicke Bäuche, dicke Luft: Eine TV-Glosse über das Fast-food-Catering beim CDU-Bundesparteitag sorgt für Verdauungsstörungen beim Süddeutschen Rundfunk ■ Aus Stuttgart Matthias Mantzen
Sie kauten und schmatzten, würgten und rülpsten. Auch die Delegierten des CDU-Bundesparteitages in Mannheim waren Menschen: hungrig und gierig, satt und selig. Für ihr Wohlbefinden hatte im vergangenen Oktober der Fast- food-Zampano McDonald's gesorgt, der die Christdemokraten mit seinen bekannten Leckereien versorgte – ein gefundenes Fressen für die vielen gelangweilten Journalisten. Einer von ihnen, der freie Mitarbeiter des Südwestfunks, Claus Kober, hielt drauf. Er filmte dicke Bäuche und den übriggebliebenen Verpackungsmüll. Seine Filmglosse passierte unbeanstandet die senderinterne Abnahme und wurde zum Auftakt des Parteitages im Programm des Süddeutschen Rundfunks (SDR) gesendet.
Es lachten nicht alle darüber. Der Chef der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg im Bundestag, Otto Hauser, fand den Beitrag geschmacklos bis unappetitlich. Und er tat, was die CDU in Baden- Württemberg immer tut, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt: Sie beklagt sich über die „mangelnde Objektivität in der Berichterstattung“ (O-Ton Hauser) und spielt ihre Macht im Rundfunkrat aus.
Rolf Thieringer, Parteisoldat im Rundfunkrat des SDR, schoß auf Befehl Hausers wild um sich, führte die Glosse dem Ausschuß vor, und der zeigte sich sogleich angemessen „empört“. Wie immer suchten die Oberen des Senders schnell Deckung: SDR-Programmdirektor Hans Heiner Bolte (CDU) und Intendant Hermann Fünfgeld (CDU, was sonst?) stimmten der Kritik sofort „einhellig“ und „vollinhaltlich“ zu. Getroffen wurden schließlich die Redakteure der politischen Landesmagazine „Landesschau“ und „Landesnachrichten“ und des Magazines „Politik Südwest“.
Fast vier Monate nach der Sendung kam es jetzt zum Eklat: Die Redaktionschefs dieser Magazine wurden in der vergangenen Woche vorübergehend von der Leitung ihrer täglichen Planungssitzungen entbunden. Ein Beschluß, der zwar mittlerweile wieder zurückgenommen wurde. Es bleibt aber die Tatsache, daß Fernsehdirektor Boelte seine Ressortleiter aufgrund der CDU-Intervention anwies, künftig alle Beiträge von den Hauptabteilungsleitern absegnen zu lassen. In einer Krisensitzung unter Leitung von Intendant Fünfgeld wurden dem Autor des Beitrags die Leviten gelesen, und bei der CDU um Vergebung der Sünden nachgesucht.
Satte CDU-Mehrheiten in den SDR-Gremien
Der nahe Wahltag in Baden-Württemberg wirft nun sein Schlaglicht auf den Umgang der Parteien mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Was die CDU unter „Freiheit statt Sozialismus“ versteht, wurde allerdings schon im Sommer 1995 deutlich. Damals nutzte sie die Stunde, um mit ihrer Übermacht im Rundfunkrat des SDR nun auch noch ihre Allmacht im Verwaltungsrat des Senders zu etablieren. Seit Sommer letzten Jahres verfügen die Christdemokraten über eine satte 7:2-Mehrheit in dem Gremium, das in allen wichtigen organisatorischen, wirtschaftlichen und personalpolitischen Fragen die Entscheidungen trifft. Mit sibirischer Konsequenz setzten die CDU-Rundfunkräte Kandidat für Kandidat durch, den anderen Parteien blieb nur das Schäumen.
Vor diesem Hintergrund ist die neuerliche Zensurmaßnahme nur logisch und vorhersehbar gewesen. Was jedoch nicht absehbar ist, sind die Folgen, die das ständige Spielen mit den Machtmuskeln in den Redaktionen hat. Die Hierarchen des Senders, der in seinem Aufbau vom Ressort- über den Abteilungs- zum Hauptabteilungsleiter vom Direktor zum Intendanten eher einem byzantinischen Friseursalon als einem modernen Medienbetrieb gleicht, sind zu jedem Kotau bereit. Gleich nach dem Anschiß aus der CDU-Zentrale wurde der Redaktion „Politik Südwest“ ein Beitrag aufs linke Auge gedrückt, der nicht nur seiner Langeweile, sondern auch seines verschimmelten Alters wegen bemerkenswert war: Ministerpräsident Erwin Teufel (dieselbe Partei) hatte vor Wochen einmmal die Industrie- und Handelskammer (IHK) Nordschwarzwald besucht. Weil sie das nicht für sendereif hielt, setzte die Redaktion den Beitrag zunächst ab. Jetzt mußte sie ihn wieder aus dem Archiv holen und senden. IHK-Geschäftsführer ist Gerhard Häussler. Gerhard Häussler ist CDU-Rundfunkrat.
Unverblümter Machtmißbrauch
Derartiger parteipolitischer Einflußnahme setzt im Sender niemand mehr ernsthaften Widerstand entgegen. Zwar grummeln die Redakteure und sprechen in der Kantine (nachdem sie sich umgeschaut haben, ob es auch niemand hört) von ungeheuerlicher Zensur. Dann aber gehen sie zurück an ihre Schreibtische und schauen, ob die Gehaltsliste schon da ist. Dem CDU-Ranzen-Spanner Claus Kober, der als freier Mitarbeiter besonders leicht zu disziplinieren ist, sprang jedenfalls kein festangestellter Kollege zur Seite.
Wie unverblümt die CDU ihre Macht mißbraucht, zeigte vor kurzem ausgerechnet einer, der wie kein anderer Südwest-Politiker die Medien bislang benutzte: Exministerpräsident Lothar Späth. Auf die Frage, ob er nicht wieder einmal die Landespressekonferenz besuchen wolle, antwortete er in die laufende Kamera: „Schafft mir erst den Born vom Hals!“ Martin Born, Rundfunkjournalist des Südwestfunks, hatte durch seine kritischen Berichte mit zum Sturz von Späth vor fünf Jahren beigetragen.
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