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Vereint in Liebe zum Getränk

Der Fantest: Während St. Paulis Freunde gesellschaftliche Positionen beziehen, schlachten Fans des 2:0-Siegers 1860 angeblich „Bayern-Schweine“  ■ Aus München Albert Hefele

Olli deutet mit dem Daumen nach rückwärts: „Da lang. Hinten anstellen!“ Olli mag es nämlich nicht, wenn sich welche vordrängen bei den Getränken. Auch wenn es seine Leute sind. Olli ist groß und dünn und spricht das S messerscharf aus, die Zunge ganz vorn an den Zähnen. Er ist eindeutig einer von der Millerntor- Truppe, die den FC St. Pauli am Samstag zum Auftakt der zweiten Halbserie nach München begleitet haben. Auch die Vordränger sind St.-Pauli-Fans. So wie die aussehen. Er mit Fusselbart und Wollmütze, sie mit einem riesigen Tigerfellzylinder. Trotzdem: Ordnung muß sein.

Das sieht auch der vierschrötige Horst so, der sich heftig nickend auf Ollis Seite schlägt: „Wenn des a jeda dät, stehn mir no umma fümfe do.“ Man ist sich einig, wenigstens was die Anstellordnung angeht. Aber nicht nur am Bierstand scheinen die braunweißen Hamburger und die blauweißen Sechziger eine gewisse Sympathie füreinander zu hegen.

Viele Münchner haben sich mit den Insignien des Gegners geschmückt, und auch im St.-Pauli- Block leuchten etliche blaue Sechziger-Schals. Es gibt schließlich nicht wenige Gemeinsamkeiten. Beide Clubs spielen in den großen Fußballstädten Deutschlands die zweite Geige hinter den erfolgreicheren Konkurrenten HSV und Bayern. Beide würden liebend gern die Rollen umkehren oder an alte Erfolge anknüpfen. Beide mußten immer wieder akzeptieren, daß das leichter gewünscht als getan ist. Da macht man so einiges mit. Gerade die Sechziger haben einen nahezu traumatischen Abstieg bis in die Niederungen der Bayernliga hinter sich. Ein Martyrium für einen Verein, der schon mal im europäischen Pokalsiegerfinale gestanden hat.

Und für seine Fans, die mit knirschenden Zähnen zusehen mußten, wie die großkopferten „Roten“ allen Ruhm und alle guten Spieler abkriegten, während sich auf Giesings Höhen die Treuen die Haare rauften, wenn man wieder einmal nur unentschieden spielte. Gegen Vereine wie Memmingen/ Allgäu. Ein ganz so tragisches Schicksal haben die Anhänger des Millerntor-Clubs nicht hinter sich. Pauli war noch nie ganz oben, wo die großen Titel vergeben werden. Pauli war immer die Mannschaft der Underdogs.

Schlimm? Einesteils ja, andernteils nein, denn eigentlich legt man Wert darauf, nicht zu denen da oben zu gehören. Man legt Wert, viel mehr Wert auf die richtige Gesinnung. Und welche Gesinnung würde nicht pulverisiert werden vom großen Erfolg? Da oben ist nämlich kein Platz für Piratenfahnen, da werden die Rituale von kühlen Managern geplant und die Symbole von pfiffigen Marketingstrategen gesät.

Auf der Hamburger Strip-Meile haben die Fans den Ehrgeiz, an ihrem eigenen Mythos zu stricken. Fußball ist nur eine der Botschaften, die am Millerntor gepredigt werden. Wenn die Kurve ihr „Saaankt Pauli!“ skandiert, hört sich das durchaus an wie die Anrufung einer segensreichen Institution. Dabei hat diese Glaubensgemeinschaft mit sakralen Inhalten wenig am Hut. Hafenstraße statt Maiandacht. Und auch der zu München lauthals geäußerte Vorwurf „Du grüne Sau!“ bezog sich ausschließlich auf Helmut Krugs' rasenfarbenes Schiedsrichterwams.

Nirgends haben die Anhänger eines Vereins ihre gesamtgesellschaftliche Position so eng mit einer Kickertruppe verknüpft. Konsequente Pauli-Fans verschmähen natürlich die Produkte der Sticker produzierenden Industrie. Einmal „Nazis raus!“; ansonsten macht man sich seine Sprüche selbst. Was heißt Sprüche, die zerfledderten Lederjacken sind vollgekritzelt wie eine seit zehn Jahren nicht mehr überpinselte Klotür. Unter all den Ketten und Anarchosymbolen verbergen sich winzige Appelle, Gedichte, Zitate von manchmal geradezu alberner Naivität. Aber immer von dem spürbaren Wunsch getragen, ernst genommen zu werden in der Verkündung eines Anliegens: „Ich bin nicht nur so ein blöder Fußballer! Mir geht es um mehr!“

Differenzierungen solcher Art scheinen den Sechziger-Fans fremd zu sein. Sie erfüllen mehrheitlich die Erwartungen, die an einen aufrechten Freund des runden Leders gestellt werden. Schals und Aufnäher künden in rauhen Mengen von der Liebe zum Verein und dem Haß auf die innerstädtische Konkurrenz: „Am liebsten schlachte ich Bayern-Schweine!“ Vielleicht ist die gemeinsame Abneigung gegen den geldgeilen Großverein ja der Grund für die Zuneigung der beiden Fangruppen.

Oder die Liebe zu Bier in großen Bechern. Ausgerechnet in München wird aber nur noch alkoholfreie Plörre ausgeschenkt. Für Olli eine große Enttäuschung. „Das schmeckt wie Scheiße.“ Horst muß wieder eifrig nicken. Das hätte er nicht besser sagen können.

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