: Die nicht anerkannte Krankheit
Krankenkassen verweigern Therapie beim Chronischen Müdigkeitssyndrom ■ Von Rudolf Langer
Was mit einem Zeckenbiß begann, endete jetzt mit einem Gang zur Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe gegen einen Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen wiegen schwer: Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, Rechtsbeugung, Erpressung, vorsätzliche schwere Körperverletzung. Die Klägerin Anneliese Heide leidet nach einer jahrelangen Fehlbehandlung am Chronischen Müdigkeitssyndrom, (CFS) und erlebt die Weigerung der Barmer Ersatzkasse (BEK), die Kosten für die ärztliche Immuntherapie gegen CFS zu erstatten, als lebensbedrohend. Die BEK beruft sich auf die Beurteilung des Gutachters, der „für die breite und unwirtschaftliche Diagnostik sowie die aufwendige Therapie“ keine medizinische Notwendigkeit entdecken kann.
Schlecht geht es Anneliese Heide seit 1985. Vergeblich wurde sie von Arzt zu Arzt weitergereicht, ohne daß ihre Krankheit, eine durch Zeckenbiß verursachte Infektion mit dem Borreliose-Erreger, erkannt wurde. Indessen verschlimmerten sich die Symptome: Schwindelanfälle sowie Hör- und Sehstörungen stellten sich ein, Muskelschmerzen und schwere Herzbeschwerden. Der Tages- und Nachtpuls hatte sich auf ständig 130 erhöht. An Schlaf war kaum mehr zu denken, die Erschöpfung der ehemaligen Kindergärtnerin war so groß, daß sie keine Tasse mehr heben konnte und auf die Pflege ihrer Familie angewiesen war. Als kein Arzt mehr weiter wußte, landete Heide beim Psychiater, der sie unter Psychopharmaka setzte – und ihren Zustand weiter verschlechterte.
Erst nach sechsjähriger Odyssee durch die Arztpraxen wurde als Folge der Fehlbehandlung das Müdigkeitssyndrom, Chronique Fatigue Syndrome, diagnostiziert. Die medizinischen Fachgelehrten vermuten, daß das CFS durch eine Schwächung des Immunsystems ausgelöst wird. In den USA ist diese Krankheit mittlerweile als rentenfähig anerkannt worden. Die deutschen Mediziner hingegen streiten sich, ob es die schwer diagnostizier- und therapierbare Krankheit überhaupt gibt, die bei der WHO unter der Nummer ICD 93.3 verzeichnet ist. „Eingebildete Krankheit“ lautet nicht selten die Diagnose hierzulande.
Mit ihrer Krankheit steht Anneliese Heide längst nicht mehr allein da. Mit 300 witeren Betroffenen hat sie sich in der „Deutschen Selbsthilfegruppe Chronisches Müdigkeitssyndrom Immundysfunktion e. V.“ (CFIDS) zusammengeschlossen, um die Anerkennung durch Krankenkasse und die Kassenärztliche Vereinigung zu erkämpfen. Heides Strafantrag wird von zwölf weiteren Patienten unterstützt. Solche Öffentlichkeit behagt den Kassen nicht. Deren Ablehnung, eine Immuntherapie voll zu erstatten, gewinnt Brisanz vor der Tatsache, daß die Zahl der CFS-Kranken in Deutschland auf 1,4 Millionen geschätzt wird.
Nach Recherchen der Würzburger Initiative „Büro und Umwelt“ sind viele Symptome von CFS mit denen des Sick Building Syndroms identisch. Die Anerkennung der einen Krankheit könnte einen Dominoeffekt auslösen. Helmut Heide, Ehemann der Klägerin: „Hier soll ein Exempel statuiert werden. Uns wurde von Mitgliedern der BEK hinter vorgehaltener Hand gesagt: ,Wären sie nicht in einer Selbsthilfegruppe, dann gäbe es bei der Erstattung keine Probleme.‘“ In eine ähnliche Richtung scheinen auch Vorgänge um die Talkshow „Schreinemakers live“ im Herbst vergangenen Jahres zu weisen. Karin Nixdorf, Mitglied der Selbsthilfegruppe, die als Gast bei Schreinemaker geladen war: „Kurz bevor die Sendung begann, mußten wir zum ,Chef‘. Er teilte uns mit, daß wir lediglich rüberzubringen hätten, daß es diese Krankheit gebe und nicht mehr. Folgendes war vorgefallen: Am Morgen vor der Sendung sei ein Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung dagewesen und habe ihn eineinhalb Stunden lang versucht zu überzeugen, das Thema fallen zu lassen. Ausgerechnet am Abend zuvor war einem der wenigen CFS-Spezialisten in Deutschland, einem Immunologen, die kassenärztliche Zulassung entzogen worden. Das riecht doch nach abgekartetem Spiel. Man verwehrt uns die Möglichkeit der Diagnose und der Therapie. Nur wer es sich leisten kann, sich privat behandeln zu lassen, hat eine Chance auf Heilung, der Rest landet im besten Falle beim Psychiater. Das durfte in der Sendung nicht rüberkommen.“ Eine Redakteurin von Schreinemakers live zu diesen Vorwürfen: „Alles Quatsch, wir wollten lediglich einen Expertenstreit vermeiden.“
Nach der Sendung verhärteten sich die Fronten noch weiter. Nachdem Adelheid Hörnig, die Vorsitzende der Selbsthilfegruppe, von einer „modernen Form der Euthanasie“ gesprochen hatte, erhielt sie prompt von der Kassenärztlichen Vereinigung eine Abmahnung über 10.000 Mark. Einer Kollegin von ihr wurden sogar 50.000 Mark angedroht. Dabei stehen die Chancen für die Selbsthilfegruppe gar nicht so schlecht, das Müdigkeitssyndrom doch noch als Krankheit anerkannt zu bekommen. In einem Brief aus Bonn erhielt die Selbsthilfegruppe die Nachricht, daß der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages beschlossen habe, ihr Anliegen zu unterstützen.
Kontakt: Deutsche Selbsthilfegruppe Chronisches Müdigkeitssyndrom Immundysfunktion e. V., Postfach 160 153, 40564 Düsseldorf, Tel.: (0211) 21 87 24
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