Das Leben geht weiter

■ Katja Seizinger verkantet: Isolde Kostner (Italien) gewinnt zum Auftakt der alpinen Ski-WM überraschend den Super-G

Sierra Nevada (dpa) – Fast hätte man argwöhnen mögen, Katja Seizingers Gesichtszüge seien in diesen Minuten milde zu nennen. Da stand sie gestern zu Pradollano im Ziel und kuckte, gemessen auf der Seizinger-Skala, nahezu freundlich in die spanische Gegend. Um sich dann aber alsbald mit ihren üblichen Verteidigungsfloskeln öffentlichem Druck und öffentlicher Neugier zu entziehen. „Das ist nicht so wild“, sagte sie. Und: „Das Leben geht weiter.“ Fünfzehn Sekunden hatte gestern die Super- G-Fahrt der Titelverteidigerin auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke „Granados“ gedauert, dann verkantete sie bei hohem Tempo mit dem Innenski, rutschte weg – und war draußen. Die erste Goldmedaille bei der WM holte sich derweil Isolde Kostner (Italien). Silber ging an Heidi Zurbriggen aus der Schweiz, Bronze an Picabo Street aus den USA.

„Es ist nicht zu fassen.“ Der deutsche Cheftrainer (Frauen) Rainer Mutschler nahm dieses frühe Aus von Katja Seizinger „mit erheblicher Bitternis“ zur Kenntnis. Nicht viel mehr als ein Trost war das respektable Abschneiden von Katrin Gutensohn (Oberaudorf), die als beste Deutsche auf den siebten Platz fuhr.

Mutschler hat zu kämpfen mit den Erwartungen, die ein Weltcup- Winter geweckt hat, der für zwei seiner Läuferinnen war, wie selten einer zuvor. Katja Seizinger (23), die Führende im Gesamtweltcup ist mit einer Serie von sechs Siegen nach Spanien gekommen: zwei in der Abfahrt, einer im Riesenslalom, drei im Super-G. Kollegin Martina Ertl (22) gewann drei Riesenslaloms und einen Super-G. „Wenn die beiden ohne Medaille heimkehren würden“, schwant Mutschler längst, „wäre das eine ziemliche Pleite.“

Nun kam Ertl daher mit einer Verletzung im linken Fuß: Es handelt sich um eine lapidare, doch extrem hinderliche Schuhrandprellung, mit der sie sich herumplagt, und die sie bremst: „Gestern dachte ich noch, ich kann überhaupt nicht fahren“, sagte sie und empfand Platz acht da als zufriedenstellendes Ergebnis.

Das Problem ist nun nur: Keiner mag sagen, ob Ertl, die Riesenslom-Olympiazweite, für die man am ehesten eine Riesenslalom- Medaille prognostiziert, selbst wenn sie bis Donnerstag in einer Woche topfit sein sollte, die Bremse wieder lösen kann. Und was Katja Seizinger betrifft, hatten Trainer Mutschler und seine Vorzeigefrau höchste Hoffnungen eben in den Super-G gesetzt. Kommenden Sonntag ist die Abfahrt, doch die hält Seizinger für eine Art „Autobahn“, eine Gleichmacherin, weshalb sie sich „nicht allzu viele Chancen ausrechnet“.

Während die eine so sinnend ihren Gedanke nachhing, mochte die strahlende Siegerin derweil ihr Glück kaum fassen. „Es war mein Traum, hier Gold zu holen“, sagte die Südtirolerin Isolde Kostner (20). Für Kostner ist es in der Sierra die erste WM. 1994 bei den Olympischen Spielen in Lillehammer hatte die Abfahrtsspezialistin aus St. Ulrich Bronze in der Abfahrt und im Super-G gewonnen. Nach einem „fast perfekten Lauf“ siegte sie in 1:21,00 mit 66/100 Sekunden Vorsprung vor der Schweizerin Heidi Zurbriggen (1:21,66), die ebenfalls ihre erste WM-Medaille gewann.

Es sei „keine große Überraschung“, daß Kostner gewonnen habe, befand Katja Seizinger: „Sie konnte hier ihre Stärken ausspielen.“ Die körperlich kompakte Tochter eines Herrgottschnitzers aus dem Grödnertal gilt als hervorragende Gleiterin. „Heute waren hier die Abfahrerinnen im Vorteil“, sagte sie. Doch deren Olympiasiegerin heißt Katja Seizinger. Gut möglich, daß das Leben auch am Sonntag weitergehen muß.

Siehe auch das Portrait, S.11