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Von der Liebe und dem Essen

■ Fast food und Kultur. Was hat die Wurst mit Erotik gemein

Die Unterschiede könnten kaum größer sein: Während der Eßkritiker Christoph Wagner uns mit unzähligen Geschichten über Varianten des Fast food zu sättigen versucht, kommt der englische Anthropologe Jeremy MacClancy sehr viel bescheidener daher. Ganz behutsam nähert sich MacClancy dem Thema Essen als soziales Ereignis und seine Bedeutung innerhalb verschiedenster Kulturen. Christoph Wagner indessen, für den der Verlag einen süffigen Band mit reichlich Abbildungen übrig hatte, plaudert zwar munterer, wirkt jedoch reichlich vollmundig. Er erzählt seinen Lesern witzige Anekdoten, man erfährt viel über die ersten Verkäufer des „Fast food“ auf den mittelalterlichen Straßen, dann von Pizzas, Sandwichs, Hot Dogs und Hamburgern. Mit den Fakten nimmt er es dabei aber nicht immer genau. In der Beliebigkeit des Fast-food- Konsumenten fließen da schon mal die historische Zusammenhänge ineinander.

Ganz anders geht dagegen Jeremy MacClancy vor. In bester Tradition angelsächsischer Anthropologie läßt er sich auf sein Thema ein. Schicht für Schicht gräbt er nach den Hintergründen des Essens. Irritierend zunächst, weil der Leser mit so vielen Fakten konfrontiert wird, kristallisiert sich aber allmählich aus den Einzelaspekten ein Bild heraus, in dem die Ebenen zusammenpassen. In Europa, Asien, Afrika oder Amerika haben sich zwar ganz unterschiedliche Vorstellungen gegenüber dem Essen herausgebildet, für alle Kulturen jedoch bedeutet Essen Bezug zur äußeren und zur eigenen Natur gleichermaßen: zwischen Hunger, Eßlust, den äußeren Bedingungen und gesellschaftlichen Konventionen. In diesem Prozeß wird Essen in hohem Maße mit Symbolen besetzt. MacClancy erzählt anschaulich, wie sich in verschiedenen Kulturen Essen mit Leben, Kraft oder Liebe verbindet, wie Fleisch mit Tabus belegt wird, sei es das Schweinefleisch in der jüdischen Mythologie oder das heilige Fleisch der Kuh in Indien.

Insbesondere um Themen wie Essen und Sexualität ranken sich gemeinsame Mythen. Wir sind nicht nur hungrig nach Liebe oder verzehren uns in Leidenschaft, sondern denken uns auch noch etwas dabei, wenn wir manche Pastete oder dicke Wurst gierig in uns aufnehmen. Der englische Autor widmet diesem Thema sehr viel Raum. Ohne je dabei schlüpfrig zu werden, beschäftigt ihn die Frage, warum die postmoderne Gesellschaft anscheinend so viel mehr Wert legt auf die feine Tafel und exquisite Speisen, dagegen Sexualität eher verdrängt. Doch vielleicht ist dies auch nur eine Täuschung, und es treffen Essen und Erotik in der Inszenierung des Schlankheitswahns zusammen. Erst gegen Schluß seines Buches kommt MacClancy selbst zu solchen Überlegungen, die man sich als Orientierungshilfe gelegentlich etwas früher gewünscht hätte. Andererseits läßt die Lektüre auf diese Weise Raum für eigenes angeregtes und vergnügliches Nachdenken. MacClancys „Gaumenkitzel“ reizt den Leser, ohne ihn zu verstopfen. Thomas Kleinspehn

Jeremy MacClancy: „Gaumenkitzel. Von der Lust am Essen“. A. d. Englischen von Ilse Utz. Junius Vlg., Hamburg 1995, 260 S., 48 DM

Christoph Wagner: „Fast schon Food. Die Geschichte des schnellen Essens“. Campus Vlg., Ffm 1995, 319 S., 48 DM

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