Braune Lücken im Lebenslauf

Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Krelle diente im Divisionsstab einer Einheit der Waffen-SS. Studenten protestieren, Universität läßt Archive durchforsten  ■ Aus Berlin Bernhard Pötter

Wilhelm Krelle genießt einen guten Ruf. Der international bekannte Bonner Wirtschaftswissenschaftler ist Mitglied der EKD- Synode und Träger des Bundesverdienstkreuzes, fünf Hochschulen haben ihm die Ehrendoktorwürde verliehen. Kaum bekannt ist allerdings eine viermonatige Episode im Leben des heute 79jährigen: Von Januar 1945 bis Kriegsende diente Wilhelm Krelle bei der Waffen-SS im Range eines Sturmbannführers.

Anlaß für die Durchleuchtung seines Lebenslaufes war ausgerechnet eine weitere Ehrenpromotion: 1994 verlieh die Berliner Humboldt-Universität (HU) Krelle den Ehrendoktor „in Anerkennung seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen und seiner Verdienste als Vorsitzender der Struktur- und Berufungskommission für die Wirtschaftswissenschaften“. Als Abwickler der ehemaligen Ostberliner Wirtschafts- fakultät hatte sich Krelle einen Namen, aber auch Feinde unter den Ostwissenschaftlern gemacht. Nun publizieren Studenten und Referenten der HU den Teil der Biographie, den Krelle selbst nicht benennt. Er will aber daraus „nie ein Hehl gemacht haben, wenn ich darauf angesprochen wurde“. Er war bei der Waffen-SS, deren Angehörige in den Nürnberger Prozessen grundsätzlich als Verbrecher beurteilt wurden.

Die Studenten stützen ihre Vorwürfe auf ein Dokument, das sie in der Potsdamer Außenstelle des Bundesarchivs fanden. In diesem „Führerstellenbefehl“ wird Krelle als „Ia“ im Divisionsstab der 17. SS-Panzergrenadierdivision „Götz von Berlichingen“ als Sturmbannführer geführt. Krelle bestätigt den Dienst bei der Waffen-SS, erklärt aber, er sei „niemals Mitglied der SS, SA oder NSDAP oder ihr nahestehender Organisationen“ gewesen, sondern vom Divisionsstab des Heeres an die Waffen-SS abkommandiert worden. In seinem akademischen Lebenslauf habe er das nicht angegeben, weil es „dort nicht hingehört“. Die Vorwürfe sind für ihn „Rache wegen meiner erfolgreichen Arbeit“. Der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften und die Präsidentin der HU waren vor Verleihung der Ehrendoktorwürde über seine Zeit bei der Waffen-SS informiert. „In Abwägung der Gesamtperson“ sei damals entschieden worden, es spreche nichts gegen die Ehrenpromotion, heißt es heute.

Dennoch will die HU, aufgeschreckt durch diverse Veröffentlichungen, den „Fall Krelle“ untersuchen lassen. Das Bundesarchiv soll eine zusammenfassende Bewertung seiner Dokumente zur Person Krelles erstellen. Der Wissenschaftler erklärt, er sei nie als „Anhänger der Nazis“ zur Waffen-SS abkommandiert worden: „Ich war immer Angehöriger der Wehrmacht.“ Das allerdings bezweifelt der zuständige Referent im Bundesarchiv, Meentz: „Wenn er als Sturmbannführer der Waffen-SS geführt wurde, war er wohl Mitglied der Waffen-SS.“

Die Dokumente zeigen einen Wilhelm Krelle, der als Mitglied des Divisionsstabs seiner Einheit Durchhalteparolen bis zum bitteren Ende unterzeichnete. So ehrt noch im März 1945 „Sturmbannführer Krelle“ einen gefallenen SS- Standartenführer mit den Worten, dieser sei „ein glühender, fanatischer Vertreter der Idee unseres Führers gewesen. Wir wollen in seinem Sinn weiterkämpfen und das vollenden, für das er starb.“

Das jedenfalls versuchte Krelles Einheit nach Kräften. Nach Unterlagen der „Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen“ in Ludwigsburg zog sich die 17. Waffen- SS-Panzergrenadierdivision nach Kämpfen in Frankreich im Frühjahr 1945 über Nürnberg nach Oberbayern zurück und beging dabei mindestens ein Kriegsverbrechen. Laut Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaften München II erschossen Angehörige der Einheit am 3. 5. 1945 in Bad Wiessee hinterrücks zwei deutsche Vermittler, die mit den heranrückenden amerikanischen Truppen über die kampflose Übergabe des Tegernseetales verhandeln wollten. Auf eine Beteiligung Krelles an der Tat gibt es keine Hinweise, er wurde 1968 als einer von 246 Zeugen vernommen. Zum Prozeß kam es mangels Beweisen nicht.

„Wir werden Krelle keine individuelle Schuld nachweisen können“, meint auch Frank Seifert von der Studentenvertretung. Die Studenten sind nach wie vor überzeugt, daß „ein Mann mit dieser Vergangenheit, trotz aller wissenschaftlichen Reputation, kaum als Wissenschaftler und als Mensch Vorbild für alle heranwachsenden Wissenschaftler ist. Es sei denn, daß diese Art von militärischem Pflichtgehorsam bis zur letzten Sekunde und der Geist, der hinter einer solchen Militärkarriere steht, Leitbild für die Zukunft dieser HU sein sollen.“