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Wie im Mittelalter

■ Essen, Trinken und Genießen im alten Hamburg – Ausstellung im Hanse-Viertel Von Nele-M. Brüdgam

Es soll Menschen geben, die sind so altmodisch, daß sie sich sogar fürs Mittelalter interessieren. Solche Menschen studieren Archäologie, arbeiten im Museum und lesen alte Schinken. Einige kochen auch mittelalterlich, nähen sich Klamotten aus Kartoffelsäcken oder schnitzen Kämme und Würfel aus Tierknochen.

Daß diese Menschen sich und ihre Betätigungsfelder nun im postmodernen Einkaufsgetümmel des Hanse-Viertels präsentieren, scheint eine seltsame Idee zu sein. Doch beim genaueren Hinsehen und -denken wird klar: Es handelt sich nicht um eine trashige Performance, sondern um die pragmatische Überlegung, daß die moderne Zeitgenossin besonders dort genau hinguckt, wo es etwas zu kaufen gibt.

Und so hat sich zwischen Candy & Company und Nur Hier seit gestern die Ausstellung Eyn guot lecker Koesteleyn – Essen, Trinken und Genießen im alten Hamburg vom Mittelalter bis zum Biedermeier eingerichtet. Zu sehen sind Schaukästen mit archäologischen Funden, mit Fayencen und Keramik, daneben Kräuterpflanzen, ein nachgebauter Holzofen und eine Menge Texttafeln zu den Tafelfreuden der norddeutschen Ahnen. Da lernt man zum Beispiel, daß die sich damals ebenso gerne an „Hout-Gout-Spisen“ erfreuten wie ihre Ur-ur-ur-EnkelInnen heute an der „gehobenen Küche“, und daß kein Lebensmittelgesetz den alten Genießern das penetrante Färben von Nahrungsmitteln verbot. Schön zu wissen auch, daß im Mittelalter Bier, Wein und Met statt Wasser getrunken wurden. Aus gutem Grund: Die gegorenen Flüssigkeiten enthielten weniger Krankheitskeime als das „reine“ Wasser.

Veranstalter des „Lekker Koesteleyn“-Events sind neben der Werbegemeinschaft Hanse-Viertel das Archäologische Institut der Universität und das Archäologische Museum Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Lüneburger „Büro für Angewandte Archäologie“, das mittelalterliches Handwerk praktiziert. Parallel zur Ausstellung besuchen StudentInnen Schulen, um mit Kindern mittelalterlich zu basteln und zu kochen, und die HEW bieten spezielle Kochkurse an. Am Sonntag lädt das Hanse-Viertel all diejenigen, die neben Vitrinen auch die urigen Aktivisten bestaunen möchten, zum Aktionstag in die Einkaufspassage.

Der vierfach von der Ausstellung erwartete PR-Effekt – Werbung für Wissenschaft, für ungewöhnliche Hobbies, die HEW und nicht zuletzt fürs Hanse-Viertel – dürfte eintreffen. Eine Entdeckung ist doch immer etwas Schönes – vor allem, wenn sie unerwartet in einem so extravaganten Kauflust-Umfeld eintrifft.

Ausstellung bis 27. Februar, Aktionstag: 18. Februar, ab 11 Uhr

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