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Chefredakteur „on the air“

Das „News Talk Radio“ entläßt noch vor dem Sendestart am kommenden Montag seinen Chefredakteur. Streit ums Konzept  ■ Von Barbara Junge

Das Programm des „News Talk Radio“ läuft noch nicht, aber der Chefredakteur Dr. Josef Ernst ist schon geschaßt. „Wir haben uns einvernehmlich getrennt, weil sich unterschiedliche Ansichten zur Programmphilosophie ergeben haben“, informieren der Gesellschaftervertreter von RTL in der Geschäftsführung, Jürgen Filla, und der designierte Programmdirektor, der US-Amerikaner Peter Laufer, in überraschend gleichem Wortlaut. Worin die philosophischen Differenzen bestehen, wollte keiner erläutern.

Auch der abgetretene Chefredakteur Josef Ernst kennt die philosophischen Schismen nicht, die zu seiner fristlosen Kündigung während der vereinbarten Probezeit führten: „Ich habe am Freitag um 11 Uhr vormittags erst von der Kündigung erfahren, vorher hatte ich keine Ahnung davon, was auf mich zukommt.“ Auch davon, daß er sich einvernehmlich getrennt habe, weiß Ernst nichts. Er weiß dafür, daß „in der Unternehmenskultur von RTL viel Platz für Intrigen ist“; mehr gab der abgesägte Radio-Macher nicht preis.

Die Welle mit dem amerikanischen Konzept „Hörertalk“ wollte eigentlich schon im letzten Jahr dem Info-Radio des SFB Konkurrenz machen. Aber der Sendebeginn wurde in unregelmäßigen Abständen immer wieder verschoben. Auch die angekündigte Premiere zur Internationalen Funkausstellung scheiterte, und die Konkurrenz „Info-Radio“ ging ein halbes Jahr früher auf Sendung. Weder die Medienanstalt Berlin-Brandenburg noch prominente ModeratorInnen konnten für den 24stündigen Plausch mit den HörerInnen gewonnen werden. Immer wieder tauchten Namen wie zum Beispiel Henryk M. Broder als Moderatoren auf, aber die Dementis ließen nie lange auf sich warten. Und die Medienanstalt verweigerte die Sendelizenz, da einer der Gesellschafter zu viele Anteile an der Meinungsbildung in Berlin hatte: Der Versandhaus- Sprößling Frank Otto hielt bis zum November letzten Jahres über 50 Prozent vom Berliner Radio „Kiss FM“, ein Vollprogramm, das wie auch „News Talk“ politische Themen über den Äther sendet. Inzwischen hält Otto bei „Kiss FM“ nur noch etwa 25 Prozent der Anteile, aber Star-Moderatoren sind trotzdem noch nicht aufgetaucht.

Das Konzept des neuen Radios ist auch ohne den Eklat um die Kündigung des Chefredakteurs umstritten genug. In den USA sitzen am Mikro meist rechte Scharfmacher wie zum Beispiel der New Yorker Moderator Rush Limbo, der bevorzugt Rassisten und Law- and-Order-Fanatiker in die Leitung nimmt. Hetztiraden auf Schwarze und Obdachlose und Ärzte, die Abtreibungen durchführen, bleiben dabei nicht aus.

Das journalistische Konzept des neuen Berliner Radios soll dementsprechend auch revolutionär sein. „Wir machen etwas ganz Neues für Deutschland, kein traditionelles Radio“, verspricht Peter Laufer. Durch Vorauswahl der AnruferInnen allerdings wollen die Radiomacher die schlimmsten Diskriminierungen verhindern. „Wir werden kein Abbild der amerikanischen Gesellschaft liefern“, versichert der Amerikaner. Ob sich die amerikanische Idee nur auf den Umgang mit Angestellten bezieht oder auch im Programm durchschlägt, wird ab Montag zu hören sein. Auch Susanne Grams, Sprecherin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, zuständig für die Überprüfung der Programminhalte, versicherte, das Ohr ganz dicht am Programm zu halten.

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