Filme als Lebenshilfe

■ Kommerz und Liebesmessage: Gespräch mit dem Panorama-Leiter Wieland Speck

taz: Gibt es irgendwelche Lieblingsthemen, Schwerpunkte des Panoramas für die Berlinale '96?

Wieland Speck:Die komplexen Neunziger sind angekommen, so einen klassischen „Schwerpunkt“ sehe ich nicht unbedingt. Ein Thema, um das es in drei Filmen geht, ist Aids – was bei uns ja auch eine gewisse Tradition schon hat. Interessanterweise ist der Blickwinkel diesmal oft HIV-induzierter Wahnsinn; in „It's My Party“ von Randal Kleiser erfährt ein Enddreißiger von seinem Arzt: du hast einen Gehirntumor, der mit Aids zusammenhängt. In 10 Tagen etwa wirst du unzurechnungsfähig sein. Er beschließt sich umzubringen. Und zwar am Ende einer zweitägigen Party, die er für seine Freunde gibt, um Abschied zu nehmen, ähnlich auch „Nervous Energy“, von der Filmemacherin Jean Stewart. Der dritte Film ist aus Deutschland. „Aids ungleich Tod“. Ein Dokumentarfilm, der Aids auf der Alltagsebene, in einem deutschen Leben gewissermaßen, zeigt. Ein Stück Lebenshilfe.

In diesem Jahr verleiht ihr zum 10. Mal den Teddy, den schwul- lesbischen Filmpreis. Was bringt der (inzwischen bisexuelle?) schwul-lesbische Teddybär in diesem Jahr?

Es ist von der Anzahl her nicht das stärkste Jahr, obwohl man sich zum Jubiläum gewünscht hätte mal richtig zuzuschlagen. Wir haben nur einen lesbischen Spielfilm und einen hervorragenden Dokumentarfilm, „Paris was a woman“ von Greta Schiller. Er eröffnet uns die Welt der intellektuellen Frauen um Getrude Stein in den zwanziger und dreißiger Jahren in Paris. Der Spielfilm ist „Watermelon Woman“ von der jungen schwarzen Cheryl Dunye aus San Francisco, die wir als Kurzfilmemacherin schon in Berlin hatten. Sie erzählt die Geschichte einer jungen Schwarzen, die im Videoshop arbeitet und gleichzeitig einen Film machen will über schwarze Frauen im amerikanischen Kino, von denen es nicht so viele gibt. Eine davon war Watermelon Woman. Sie verliebt sich in eine weiße Kundin, die schwarzen Lesben werden sauer...

Dann haben wir noch „Hustler White“, der in die Untiefen des Los Angeleser Sexuallebens klettert. Ketten, Piercing, Tatooing, eine sehr sehr wilde Abteilung...

Gibts außer dem „sexuellen Untergrund“ überhaupt noch einen filmischen Underground, der vom Mainstream abzugrenzen wäre?

Es gibt tatsächlich einen Mangel an tatsächlichem Underground, deshalb auch die Hinwendung zu den 60ern und 70ern, um rauszufinden, was damals eigentlich passiert ist und was uns heute fehlt.

Deshalb ist „Normal Love“ von Jack Smith, der 1989 in New York an Aids gestorben, restauriert worden. Der Film vom Vater des Undergrounds von 1963, hat diese ganze Andy Warhol Generation das erste Mal mit schwulem Underground konfrontiert. Auch bei „Message To Love“, der '71 gedreht wurde, aber jetzt erst fertiggestellt, das europäische Gegenstück zu Woodstock, mit Jim Morrison, The Who, Hendrix & Joni Mitchell zeigt, wie die Flower Power Bewegung ihre Unschuld verliert. Es geht um Kommerz und die Liebesmessage.

Du bist seit vier Jahren auch in der Jury des Wettbewerbs. Wird dieser Jahrgang besser als der letzte, doch wohl ziemlich enttäuschende Wettbewerb?

Ich denke als Ex-Kinomacher. Ich muß ja sagen, auch wenn das nicht schick klingt, fand ich das Programm ganz gut. Nun, es kam nicht an. Wir haben in diesem Jahr ebenfalls ein sehr gutes Gefühl, aber ich weiß auch, daß dieses Programm es leichter haben wird. Weil die Filme eine sehr viel stärkere Überzeugungskraft haben als große Werke. Da gibts wahnsinnig viel zu entdecken. Wenn man nur an Bertrand Blier (Mon Homme“) denkt, oder an Ricky Tognazi mit Vite Strozzate oder Stephen Frears, da kann man durch die ganze Reihe schwärmen. Ach ja, „Faithful“ von Paul Mazrsky, am Schluß der Berlinale mit Cher, die umgebracht werden soll, damit ihr Ehemann Versicherungsgelder kassieren kann.

Wie kommt es zur Auswahl der Filme?

Ich arbeite etwas über ein halbes Jahr für die Berlinale vor. In der Zeit reise ich viel. Da wir nur Erstaufführungen zeigen, kann ich leider nicht mit dem Einkaufswagen durch andere Festivals schieben. Es sind Filme die direkt bei den Produzenten rausgeleiert werden. Nach Berlin kommen so viele Profis, Kinomacher Einkäufer und Presse, die hier die neusten Filme sehen müßen. Sonst wären wir nicht zum zweitgrößten Festival geworden.

Wir sichten bis das Programm gedruckt wird, ich sehe im Jahr etwa 1000 Filme; in den letzten Tagen guckt man unten noch und oben gibt man Interviews.

Wer entscheidet im Zweifel?

Die endgültige Entscheidung treffe im Prinzip ich, aber ich bin Moritz de Hadeln gegenüber verantwortlich, der als Chef des offiziellen Programms auch Chef des Panoramas ist.

Interview Andreas Becker