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Schirm und ChiffreUserfeindlichkeit als Programm

■ Unter dem Motto „Das Ende des Unvorstellbaren“ beginnt heute das 9. Videofest

In Oliver Stones sinnfälligerweise fürs Fernsehen produzierter Science-fiction-Serie „Wild Palms“ ist Virtual Reality die totalitärste und fieseste Form von Imperialismus: das Land des Imaginären und Unterbewußten – das letzte Territorium, das noch zu besetzen ist. Dieser Tatbestand hat dem diesjährigen Videofest den philosophically nicht ganz korrekten Titel „Das Ende des Unvorstellbaren“ beschert. Alles, was man sich vorstellen kann, wird mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung in Zukunft auch darstellbar sein. Die neueste Generation von Bilderzeugungstechnologien ist bereits jetzt in der Lage, Filme und Fotos zu simulieren.

Ursprünglich authentische Fotos können nicht nur manipuliert werden, sondern keiner kann sich mehr sicher sein, ob das, was immer noch ein Foto oder ein Videofilm ist, digital generiert oder wirklich aufgenommen wurde. Das ist allerdings grundsätzlich nur für solche Menschen tragisch, die glauben, Film und Fotografie hätten jemals die Realität wiedergegeben. Beunruhigend ist eher die Tatsache, daß digitale Techniken die Herstellung großer Mengen von gefaktem Material möglich machen und die Manipulation von Bildern zum Normalzustand wird. Nicht von ungefähr verweisen die Veranstalter auf die Nähe zur Gentechnologie. Auch hier ist die Diskussion um die Kenntlichmachung manipulierter Nahrungsmittel eigentlich überflüssig. Irgendwann wird nicht mehr zu entscheiden sein, was natürlich, das heißt im Laufe der Evolution entstanden, oder künstlich ist. Die Genkartoffel schert sich nicht um Drahtzäune.

Wenn die digitale Revolution das Pendant zur Biotechnologie ist, nimmt digitale Kunst wohl die Rolle medialer Genmanipulation ein. Das Focus-Thema „Die Kunst und das Netz“ wird sich mit der Frage befassen, wie digitale Kunst definiert werden kann und in welchem Verhältnis zur Entwicklung der elektronischen Netze sie sich befindet. Wie letztes Jahr präsentiert das Videofest eine Auswahl innovativer CD ROM und Internetprojekte, die teils von den Künstlern selbst vorgestellt werden, allesamt aber auf separaten Terminals begutachtet werden können.

Neben aufwendigen Produktionen wie Laurie Andersons „Puppet Motel“ und der neuen Residents-CD-ROM, die bereits Maßstäbe im digitalen Entertainment-Sektor gesetzt haben, finden sich wieder einige unabhängig produzierte Anwendungen. Viele der kleinen Independentproduktionen beschäftigen sich grundsätzlich mit der Frage der Interaktivität. Die radikalste Arbeit bescheren uns Necro Enema Amalgamated, die mit „Blam!“ Userfeindlichkeit zum Programm erhoben haben.

Ebenfalls erhöhtes Augenmerk gilt dem Körper, einerseits repräsentiert durch einen signifikant hohen Anteil nackten Fleisches auf diversen CD ROM und Diskussionen über künstliche Körper und Artificial Intelligence auf der anderen Seite. Wissenschaftlerinnen werden über den State of the Art intuitiver Mensch-Maschinen-Schnittstellen, neuronaler Netze und autonomer Softwareagenten Bericht erstatten.

Nichtsdestotrotz wartet das Videofest auch ganz traditionell mit Videos aus den verschiedensten Sparten auf, die in den Programmblöcken Hauptprogramm und Nightflight zu sehen sein werden. Darunter eine Retrospektive von Highlights des britischen Fernsehens, das der hiesigen Produktion ja immer schon einen Schritt voraus war. Aber auch hier machen sich auf dem Hintergrund eines erweiterten technologischen Horizonts neue Herangehensweisen bemerkbar. Der Amerikaner John Sanborn stellt seinen interaktiven Spielfilm „Psychic Detective“ vor, an anderer Stelle wird man es mit interaktivem Fernsehen zu tun haben.

Video und Multimedia, deren Grenzen langsam verschwimmen, haben immer auch die Undergroundidee eines Produzierens außerhalb kommerzieller Zwänge mitgeführt. Die Utopie einer Medienmacht von unten ist so alt wie die Geschichte der Elektronikkonzerne, die seit den sechziger Jahren billige Hardware auf den Markt werfen, erst Videokameras und Rekorder, jetzt PCs. In den Medienwerkstätten brauchten die Bürger nun nur noch lernen, mit den neuen Technologien umzugehen. Gute Idee, bloß hatte keiner dran gedacht, daß Definitionsmacht vielleicht irgendwas mit Distributionsmacht zu tun haben könnte. Du bist nicht Alexander Kluge! Diesbezüglich kehrt auf dem diesjährigen Videofest Ernüchterung ein, wurden doch zum erstenmal Multimediafirmen aus der Region eingeladen. Ulrich Gutmair

9. Videofest Berlin, ab heute bis 25.2., jeweils ab 12 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68-70, Mitte, Informationen und Programmhinweise unter Telefon: 247 496

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