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Vom Spitzellohn ein Haus gebaut

Exjustizvollzugsbeamter und Ex-„Republikaner“ wegen 30jähriger Spitzeltätigkeit für die Stasi zu zwei Jahren auf Bewährung plus 200.000 Mark Rückzahlung verurteilt. Motiv: Geldgier pur  ■ Von Ute Scheub

Der 59jährige Justizvollzugsbeamte Waldemar L., graue Haare, Schnauzer, Brille, würde vollkommen unscheinbar aussehen, wären da nicht die Trachtenjacke und die grobkarierten Socken. Daß er zeitweilig Parteimitglied der „Republikaner“ war, erklärt der Westberliner damit, daß ihn die Stasi dazu getrieben hätte. Wegen 30jähriger Agententätigkeit für die DDR hat ihn das Kammergericht gestern zu zwei Jahren auf Bewährung plus Rückzahlung des erhaltenen Agentenlohns von mindestens 200.000 Mark verurteilt.

Vor allem der zweite Teil der Strafe dürfte den Familienvater hart treffen, denn sein Motiv war offenbar Geldgier pur. Die Gesamtsumme seines Spitzellohnes von der Stasi habe fast ausgereicht, so rechnet ihm der Vorsitzende Richter vor, um den Bau seines Eigenheimes zu finanzieren. Nach seinen finanziellen Verhältnissen befragt, benennt der Angeklagte seine Einnahmen und Ausgaben seit den sechziger Jahren aus dem Kopf, selbst seine „Dienst“-Fahrten nach Ost-Berlin hat er von der Steuer abgesetzt.

Soll er aber angeben, wen oder was er ausgespäht hat – unter anderem Mitglieder von Fluchthilfeorganisationen und Institutionen der Justiz – da versagt ihm jede Erinnerung. Dabei sei er, so notierten zumindest seine Führungsoffiziere, „Beobachter mit Leib und Seele“ gewesen.

Ein Mann wie ein Klischee. Der Vater Polizist, bis er im Krieg fiel, er selbst zeitweilig Polizist, der Sohn ebenfalls Polizist. Unauffällig, brav, überangepaßt, durch und durch materiell eingestellt. Was ihm später das Eigenheim war, waren ihm früher die Autos. Seine Tochter war 1959 gerade geboren, da kaufte sich der damalige Schichtarbeiter für teures Geld einen Fiat.

Nach einem Besuch bei seiner Mutter, die in Ost-Berlin wohnt, geriet er mit zwei Bieren intus in eine Verkehrskontrolle: Auto beschlagnahmt, Fahrerlaubnis weg. Aus seiner Sicht in furchtbarer psychischer Not unterschrieb er eine Verpflichtungserklärung: „Ich bin bereit, das MfS in seinem Kampf für den Frieden zu unterstützen.“ Im Gegenzug beteiligte sich die Stasi an der Finanzierung seiner vielen Autos und seiner selbstverschuldeten Unfälle. Fortan erledigte IM „Gerhard Dietrich“ treulich alle Aufträge, auch wenn sie die eigene Familie trafen. Er machte es möglich, daß die Stasi auch seine zweite Ehefrau und seinen Bruder anwarb, und die 300 Mark Monatslohn für die Gattin kassierte er auch noch 14 Jahre nach seiner Scheidung ab.

Als er sich 1975 zum Justizvollzugsbeamten umschulen ließ und in der Drogenabteilung des Jugendknastes Plötzensee zum Justizvollzugsamtsinspektor aufstieg, lieferte er Dienstpläne und Telefonverzeichnisse der Justizorgane nach drüben. 1989 interessierte er sich für die „Republikaner“: „Ich wollte ihnen beitreten.“ „Wollte?“ fragt der Vorsitzende Richter ungläubig. „Ich sollte“, korrigiert der Angeklagte schnell, und das Kammergericht geht ebenso schnell über die Angelegenheit hinweg. Mit der Verurteilung des Waldemar L. und seiner Entlassung aus dem Vollzugsdienst ist das Kapitel ja schließlich abgeschlossen.

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