Aus der Geschichte lernen

■ betr.: „Soll die PDS die Vereini gung von 1946 als Unrecht aner kennen?“, taz vom 9. 2. 96

Ich finde es gut, daß die taz der Auseinandersetzung mit der PDS in der Frage der Zwangsvereinigung von KPD und SPD breiten Raum einräumt. PDS-Mann Gehrcke hätte hier Gelegenheit gehabt, etwa die Taschenspielertricks seiner „Historischen Kommission“ über das Urabstimmungsergebnis der Westberliner SPD im März 1946 zurechtzurücken. Die Kommissionsapologeten haben es unter anderem fertiggebracht, satte 82 Prozent Nein-Stimmen auf fiktive 28 Prozent runterzurechnen. Daß Gehrcke darüber kein Wort verliert, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Demokratieverständnis seiner Partei.

Umgekehrt halte ich es für bedauerlich, wenn Entlastungsversuche der PDS mit schiefen Beweisen konterkariert werden. So von Peter Merseburger, der sich zu der Behauptung versteigt, daß die US- Amerikaner in den Westzonen „eine linke demokratische Vorherrschaft ... vielleicht nicht gern gesehen, aber zweifellos respektiert (hätten)“. Die SPD-West hatte unmittelbar nach dem Krieg versucht, nach dem Vorbild und mit Unterstützung der Labour-Regierung die Wirtschaft in der Bizone zu sozialisieren. Ihr damaliger wirtschaftspolitischer Sprecher Viktor Agartz hatte beim Hannoveraner Parteitag 1946 erklärt, daß über „Umfang und Richtung der Produktion zukünftig nur noch der demokratische Rechtsstaat entscheiden darf.“ Als zentrale Investitionsvorgabe sollte mit einem Drittel paritätische Mitbestimmung in den Betrieben aus Vertretern von Kapital, Arbeit und öffentlicher Hand ergänzt werden. Diesem SPD-Modell, das auch eine Alternative zur sowjetischen Planwirtschaft darstellte, wurde in der Praxis von US-amerikanischer Seite keine Chance gelassen. Als sich in der Volksabstimmung in Hessen 72 Prozent für die Umsetzung des Modells aussprachen, legten die US-Amerikaner im Dezember 46 ihr Veto ein. In der Folge wurden in den Westzonen von den Besatzungsmächten keine weiteren Volksentscheide über die Sozialisierungsfrage zugelassen.

Nachdem Agartz im Januar 47 zum Vorsitzenden des Bizonen- Wirtschaftsamtes in Minden gewählt worden war, erklärte US-Militärgouverneur Clay im Februar 47, daß es ihm nicht gestattet würde, „seinen kürzlich erhaltenen Posten dazu zu benutzen, die Sozialisierung der Industrie in der amerikanischen und britischen Zone durchzuführen.“ (FR, 1. 2. 47) Dem Amt wurden seine exekutiven Funktionen postwendend entzogen. Die ursprüngliche Schützenhilfe der Labour-Regierung für die SPD wurde ebenfalls durch US-amerikanische Einflußnahme gestoppt. Agartz schrieb später zur Begründung seines Rücktrittes an seinen Parteifreund Kriedemann, daß die „künftige Struktur der Wirtschaft von außen bestimmt“ sei. „In ähnlicher Weise“, so Agartz weiter, „haben wir die Währungsneuordnung und die Ordnung der Steuergesetzgebung zu erwarten. Auch in diesen Fällen werden alle Vorbedingungen geschaffen, eine sozialistische Politik von vornherein auszuschließen.“

Merseburgers These ist offensichtlich falsch. Mit seiner Behauptung wertet er die PDS indirekt auf, indem dieser Partei damit implizit das Markenzeichen einer Traditionshüterin des Dritten Weges angeheftet wird. Die Debatte könnte meines Erachtens fruchtbarer verlaufen, wenn statt dessen versucht würde, tatsächlich aus der Geschichte zu lernen. [...] Kristan Kossack, Minden