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Ohne Umverteilung keine effektive Arbeitsmarktpolitik

■ betr.: „Deutschland, ein Winter märchen“, „Es herrscht Ruhe im Land“ (Vier Millionen arbeitslos – doch jeder kämpft für sich), „Alles eine Frage der Gewöhnung ...“ etc., taz vom 9. 2. 96

[...] Der Grund dafür, daß die Arbeitslosen sich nicht wehren, liegt meines Erachtens auf der Hand: Arbeitslos zu sein gilt noch immer als Stigma, das man tunlichst verschweigt oder zumindest doch vertuscht und verschleiert – alles andere wäre der soziale Tod. Diejenigen, die Arbeit haben, sind froh, daß es sie (noch) nicht getroffen hat, und sie nehmen – zum Beispiel via Überstunden – schnell noch mit, was sie kriegen können: Man weiß ja nie, wann es einen selbst auch erwischt.

Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit wird es solange nicht geben, solange nicht klar ausgesprochen wird, welche Interessen dabei im Spiel sind: a) Lange genug hat diese Regierung, die jetzt Krokodilstränen vergießt, die Arbeitslosigkeit billigend in Kauf genommen; lange genug war der Industrie die dadurch entstandene „Reservearmee“ hochwillkommen (und ich vermag, offen gestanden, nicht recht zu erkennen, weshalb es den Unternehmern plötzlich nicht mehr gelegen kommen sollte, daß das Gespenst der Arbeitslosigkeit die Beschäftigten ganz von selbst gefügig macht ...). b) Ferner gibt es in dieser Zweidrittel-Gesellschaft nicht nur unter den Unternehmern eine Menge Leute, die in ganz unterschiedlicher Weise von der hohen Arbeitslosigkeit profitieren: Sei es, weil es endlich wieder an jeder Ecke billige (noch dazu pädagogisch qualifizierte) Kindermädchen gibt; sei es, weil es das eigene Prestige hebt, daß man sich zu den Privilegierten zählen darf; sei es, weil man lieber selbst das Geld einsteckt (via Überstunden, via Honorarverträge neben der festen Stelle im öffentlichen Dienst), das den anderen so dringend fehlt ...

[...] Meine Folgerung deshalb: Effektive Arbeitsmarktpolitik ist nicht zu haben ohne Umverteilung. Und zwar genau in entgegengesetzter Richtung als dies unter dieser Regierung geschieht. (Und seit der von Antje Vollmer mitunterstützten Forderung nach Diätenerhöhung im letzten Jahr, die skandalöserweise mit der Diskussion um die Kürzung der Sozialhilfe zusammenfiel, zähle ich zu meinem Bedauern auch die Grünen zu jenen, die nicht nur nicht bereit sind zu teilen, sondern die gern noch auf Kosten derer, die auf Diät gesetzt werden, ein bißchen zulegen ...) Verstießen solche Maßnahmen nicht gegen die Privilegien der immer fetter werdenden Zweidrittel-Gruppe, ließe sich bestimmt das Folgende gesetzlich regeln und durchsetzen:

– sofortiges Verbot von Überstunden

– sofortiges Verbot der Vergabe von Honorartätigkeiten an Personen, die bereits über eine sichere Einnahmequelle verfügen

– Absenkung der Wochenarbeitszeit für alle (ohne Lohnausgleich, denn der wäre nicht finanzierbar; zehn Prozent weniger Geld [im Ausgleich für Freizeit] für alle wäre allemal sozial gerechter als die Reduzierung der Bezüge auf jetzt bald unter 50 Prozent der vorherigen Einkünfte bei den Erwerbslosen)

– Eine konsequente Umsetzung des Verfassungsgrundsatzes, wonach Eigentum verpflichtet, sprich: Eine Pflicht zur Re-Investition der – nicht zuletzt mit Hilfe von Subventionen und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten erworbenen – immensen Gewinne, die auf den Konten der Bundesbürger gehortet werden und mit denen man locker phantastische Innovations- und Forschungsprojekte ins Leben rufen könnte, sei es auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien und des nachhaltigen Wirtschaftens, sei es auf dem Gebiet von Bildung und Erziehung, das dieses „Land der Dichter und Denker“ auf skandalöse Weise verkommen läßt ...

– Die Aufnahme eines Rechts auf Arbeit im Grundgesetz. Gisela Haehnel, Köln

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