: Atlantiskult mit nordischem Jesus
■ Heute in der Böttcherstraße: Lesung zum Haus Atlantis, dem umstrittensten Gebäude von Bremen – bis heute ein Tabu
„Die Wiedererrichtung der Böttcherstraße“, so verkündete Ludwig Roselius, sei „ein Versuch deutsch zu denken.“ Vollmundig erläuterte der Mäzen und Kaffee-Hag-Chef bereits 1929 gegenüber dem Bremer Senat, er stelle sich für das Haus Altantis einen Sakralbau des völkischen Mythos vor: „Das neue Haus kann kein einfaches Bürohaus werden, sondern muß in seiner Fassade schon das Signum seines hohen Dienstes tragen.“ Das geschah denn auch, und die Fassade des Haus Atlantis wurde in ihrem Expressionismus „einst das meistdiskutierte Haus der Welt“. Heute ist dies weder zu sehen noch zu ahnen. Kaum einer in Bremen weiß, wie dies markante Haus in der Böttcherstraße ehemals aussah. Das soll sich endlich ändern.
„Das Schweigen hält nun seit dem 2. Weltkrieg an“, meint Uwe Ramlow von „StadtLandFluß“, dem Heimatverein im modernen Gewand, der zu einer Diskussionsveranstaltung einlädt. Am Ort des Geschehens, im berühmten Himmelssaal des Haus Atlantis, soll die Kontroverse in Gang kommen, die immer noch hinter der neutralen Fassade des Bauwerks lauert. 1993 hatte der Journalist Arn Strohmeyer mit seinem Buch „Der gebaute Mythos - Das Haus Atlantis in der Böttcherstraße“ die Vergangenheit aufgearbeitet und gänzlich neue Thesen zur berühmtesten Touristenmeile der Hansestadt vorgelegt. Starker Toback: Schließlich brachte das Quellenstudium Ergebnise zutage, die sich nicht ganz unkommentiert in die kunsthistorische Seligkeit von Handwerkskunst und stimmungsvollen Landschaften á la Paula Modersohn-Becker einreihen lassen.
„Die Überlegenheit von der nordischen Rasse, übersetzt in eine zu schaffende deutsche Kultur, sollte in der Fassadengestaltung des Haus Atlantis zum Ausdruck kommen.“ Das Resultat: Eine gigantische Holzfigur, umrahmt von Runen aus dem nordischen Edda-Epos. Im gekreuzten Rad schwebt Odin und erinnert in seiner Mischung aus Gnom und urgermanischem Wodan an eine schmerzensreiche Jesus-Darstellung. Gleichzeitig verstörte die Darstellung an der Fassade die Bremer jedoch zutiefst. Doch nicht nur die Bürger; entsetzt war auch „der Führer“. Hatten Ludwig Roselius und sein Architekt und Bildhauer Bernhard Hoetger doch geglaubt, es mit ihren nordischen Schwärmereien besonders gut zu machen. Aber sie trafen mit dem düsteren expressionistischen Stil bei Adolf Hitler auf wenig Gegenliebe. Der ging entsetzt auf Abstand und wollte auch von devot oportunistischen Umbauplänen, die Roselius ihm andiente, nichts wissen. Erst Albert Speer rettete das Baudenkmal und ließ es unter Denkmalsschutz stellen - als ein Beispiel für „entartete Kunst“.
Mit den Mißverständnissen hatte es auch nach dem Kriege kein Ende. Zwar überstand das Haus Atlantis die Bombennächte , doch im Jahre 1965 wurde das Äußere des Hauses endgültig zerstört. Arn Strohmeyer klagt an: „Was Speer und Roselius mit Hitlers Hilfe verhindert hatten, holten die Nachkriegs-Entscheidungsträger nun nach.“ Eine absolut neutrale Fassade verbirgt noch heute das Ideengut, das mit dem Gebäude verbunden ist. Nur in Gedanken lassen sich die zeittypischen Aspekte der Architektur noch rekonstruieren.
rau
Heute ab 18 Uhr Führung mit dem Kunsthistoriker Uwe Bölts durch die Böttcherstraße, um 19 Uhr Lesung, Dias und anschließende Diskussion zum Haus Atlantis ebendort
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