Widersprüchliche Signale

■ Lehrstellenangebot sinkt / Handelskammer kündigt Trendwende an Von Iris Schneider

Die Handelskammer Hamburg hat sich mit ihrem Jahresbericht weit aus dem Fenster gelehnt: „Hamburgs Schulen machen dumm“, war das Fazit einer großen Boulevardzeitung am Tag nach der Vorstellung. Auf Nachfrage wollte der Berufsbildungsexperte der Handelskammer, Reinhard Wolf, diese Generalschelte nicht bestätigen: „Daß die Schulen grundsätzlich ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, den Vorwurf kann man nicht halten“. Viele Schulabgänger „erfüllen aber die Voraussetzungen für eine Ausbildung nicht“, vor allem in Deutsch und Mathematik. Hier müsse die Schule, sprich der Staat, für Abhilfe sorgen.

Dennoch, mit der Schlagzeile wurde vom eigentlichen Dilemma erfolgreich abgelenkt. Obwohl die Handelskammer beteuert, die betriebliche Ausbildung stärken zu wollen, geht das Angebot an Lehrstellen in Hamburg seit Jahren drastisch zurück. Seit Mitte der 80er Jahre hat sich allein im Bereich Handel, Industrie und Dienstleistung die Zahl der Anfänger unter den Azubis von über 10.000 auf rund 6500 verringert.

Immer häufiger weichen Jugendliche auf ungeliebte Berufe aus

Im Amt für Berufs- und Weiterbildung wird dieser Trend mit Sorge betrachtet. Immer häufiger müßten Jugendliche auf Berufe ausweichen, die sie eigentlich nicht lernen wollen, erläutert Günther Blom, Leiter des Berufsbildungsbereichs. Diese Auszubildenden wären ein „labiles Potential“, das bei Störungen, „wenn die Chemie nicht stimmt“ (Blom), schnell die Lehre abbricht. Die Alternative ist für viele eine schulische Berufsausbildung oder Berufsvorbereitung. Rund 10.000 junge HamburgerInnen haben sich 1993 für diesen Weg entschieden. Etwa 30 Prozent der Jugendlichen, die statt einer Lehre weiter zur Schule gingen, betrachteten diese Zeit allerdings selbst „als Warteschleife“, so Blom.

Und auch die Handelskammer hält die außerbetriebliche Ausbildung nur für „die zweitbeste Möglichkeit“, betont Reinhard Wolf. Der Nachwuchs würde über diesen Umweg einfach zu alt. Was aber tun? Kein Betrieb kann gezwungen werden auszubilden. Appelle haben in den vergangenen Jahren wenig gefruchtet. Die Jusos aus Schleswig-Holstein und vier weiteren Bundesländern fordern deshalb erneut eine „Ausbildungsabgabe“ für Betriebe, die nicht selbst ausbilden.

Doch hier verbittet sich die Handelskammer das staatliche Engagement, das sie bei der Berufsvorbereitung so nachdrücklich fordert. So eine Maßnahme wäre „ungeeignet“, schimpft Ulrich Grobe von der Handelskammer. Dadurch würden Betriebe „genötigt“ auszubilden, auch wenn sie das nicht könnten. Grobe: „Ausbildung braucht aber Engagement“.

Immerhin will die Kammer sich in Zukunft darum bemühen, Berufe in Handel, Industrie und Dienstleistungen für SchulabgängerInnen „attraktiver“ zu machen. Ein erster Schritt ist das „Hamburger Lehrstellenverzeichnis“, das SchülerInnen informiert, welchen Beruf sie bei welcher Firma lernen können. (Die Broschüre kann bei der Handelskammer unter der Telefonnummer 361 380 angefordert werden).

Daneben setzt die Kammer aber auch auf neue Konzepte. So ist etwa die Entwickllung eines siebenjährigen beruflichen Bildungsweges als Alternative zum Betriebswirtschafts-Studium angedacht.

Die gute Nachricht zum Schluß: Für 1995 erwartet Ausbildungsexperte Wolf eine Wende am Lehrstellenmarkt: Nach zehn Jahren soll die Zahl betrieblicher Ausbildungs-plätze erstmals wieder steigen.