: Wie naiv darf eigentlich ein Richter sein?
■ Reaktionen auf das Hamburger Urteil um den rechtsradikalen „Auschwitz-Mythos“
Das Urteil hat das Zeug zum handfesten Justizskandal. Am Mittwoch wurden die stadtbekannten Neonazis André Goertz und Jens Siefert, die im Spielberg-Film „Schindlers Liste“ den „Ausch-witz-Mythos am Leben erhalten“ sehen, vom Vorwurf der Leugnung des Holocaust freigesprochen. Der urteilende Richter Albrecht Kob, Jahrgang 1958, dazu am Telefon: „Ich möchte nichts sagen.“ Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten beziehungsweise eine Geldstrafe von 7200 Mark beantragt.
Kob hatte den Verhandlungstermin kurzfristig angesetzt, weil der von Faschos gerühmte Rechtsanwalt Rieger, der Goertz und Siefert vertritt, sonst erst im Sommer wieder Zeit gehabt hätte. Vor einem halben Jahr erst hatte Kob den FAP-Funktionär Goertz verurteilt.
Der Richter gilt in Kollegen- und Anwaltskreisen als „ganz und gar nicht rechtsverdächtig“, so Insider. Nun wird er den Ruf des „anständigen Richters“, wie ihn das „Nationale Info-Telefon“ nach seinem Urteil rühmte, kaum wieder los. So erntete er gestern eine scharfe Urteilsschelte der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hamburg“.
Der Hamburger Dozent und Richter am Landgericht Lübeck, Wolfgang Neskovic, findet es „empörend, daß Kob nicht wenigstens zu seinem Urteil steht. Ein Richter lebt doch nicht unter einer Käseglocke! Fachlich ist das Urteil auf jeden Fall daneben. Man kann doch bei dem offenkundigen Hintergrund - Infotelefon, FAP - den Begriff ,Mythos' nicht grammatikalisch auslegen.“
Gerichtssprecherin Monika Rolf-Schoderer hält es zwar für eine „bedauerliche Entscheidung“, dem Richter aber sei „unwiderlegbar“ erschienen, was die beiden Angeklagten zu ihrer Entlastung vorbrachten. Der Nazi-Anwalt Rieger habe dem Richter „Belege aus Spiegel und taz für die Verwendung des umstrittenen Begriffs vom Auschwitz-Mythos“ vorgelegt und dadurch Kob überzeugt, daß es sich dabei um kein Synonym für die Auschwitz-Lüge handele. „Natürlich wußte Kob, wen er vor sich hatte.“ Es sei halt eine „Einzelfallentscheidung“.
Der Verwaltungsrichter Friedrich Joachim Memel, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, nennt das „Ergebnis des Urteils befremdlich“, es erwecke den „Anschein von Legitimation“ der Faschosprüche.
Damit aber schließt sich der Reigen von Kommentaren: Kaum ein Richter-Kollege von Kob mag sich ohne Kenntnis der schriftlichen Urteilsbegründung zu weit aus dem Fenster hängen. Die gleiche Haltung legt auch Justizsenator Hardraht (parteilos) an den Tag, braucht dafür allerdings neun Zeilen. Darin: Kein Wort des Bedauerns. Fritz Gleiß
Sie auch Bericht Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen