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„Man kann einiges erneuern“

■ Albin Hänseroth, designierter Intendant der Hamburger Oper, im Gespräch mit Till Briegleb

taz: Herr Hänseroth, Sie werden gemeinsam mit Ingo Metzmacher die Hamburg Oper in das nächste Jahrhundert führen. Was bedeutet das für Ihre Planung?

Albin Hänseroth: Wir möchten in den ersten Jahren ein bißchen Revue passieren lassen, was an wichtigen Entwicklungen in der Oper in diesem Jahrhundert gewesen ist. Das möchten wir aber in einer ästhetischen Form präsentieren, die Perspektiven zum nächsten Jahrtausend eröffnet. Oper hat bei einem breiten Bevölkerungsband ja immer noch den Ruch des Elitären, aber gleichzeitig den Ruf des Abgestandenen, Konservativen. Da wollen wir dazu beitragen, daß Oper als Kunstform Anregungen aus der Umwelt aufnimmt und sich damit auseinandersetzt.

Wäre es in der Oper denkbar, wie Frank Baumbauer es jetzt am Schauspielhaus gezeigt hat, daß man einen radikalen Schlußstrich unter das Vorherige zieht?

Ich wäre, abgesehen von meinen Kenntnissen, viel lieber Schauspielintendant, denn da kann man tatsächlich Tabula rasa machen. Das ist an der Oper unmöglich. Wir müssen im Jahr ungefähr 200 Vorstellungen abliefern. Da kann man nicht bei Punkt Null anfangen und einfach alles rausschmeißen, was einem nicht gefällt. Und es sind viele Sachen, die mir nicht mehr gefallen, weil sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Das ist ein Problem, bei dem ich mich sehr unwohl fühle. Das Ziel, was wir haben, und ich sage jetzt immer wir, weil ich im Moment alles in enger Zusammenarbeit mit Ingo Metzmacher plane, ist zum einen natürlich, die Neuproduktionen ganz woanders anzusiedeln. Desweiteren möchte ich aber auch das musikalische Niveau des Repertoires von Besetzungs-Zufälligkeiten befreien, und zwar indem ich in Serie spiele. Gleichzeitig möchte ich so schnell wie möglich an die Erneuerung des Repertoires gehen, und zwar des populären Repertoires: La Boheme, La Traviata, Lady Butterfly und so fort.

In Neuinszenierungen?

Ja. Wir werden aber trotzdem in der ersten und zweiten Spielzeit einige wenige Repertoire-Leichen mitschleppen müssen. Um das gering zu halten, müssen wir auf mehr Produktionen pro Spielzeit kommen. In der letzten Spielzeit von Albrecht/Ruzicka 1996/97 sollen nur noch drei Neuinszenierungen entstehen. Wir möchten auf sechs Neuinszenierungen kommen. Wenn wir das schaffen, dann hätten wir in den fünf Jahren, für die man uns verpflichtet hat, 30 Neuinszenierungen. Da kann man schon einiges erneuern.

Ist das bewältigbar?

Es wird vielleicht nicht möglich sein, sie alle ganz im Haus zu machen. Deswegen wollen wir beispielhafte Inszenierungen von anderen Opernhäusern hierher übernehmen.

Kann man als Intendant einer Oper überhaupt ein ästhetisches oder politisches Grundsatzprogramm formulieren?

„Ich scheue keine Auseinandersetzung“

Wenn sie es mit Frank Baumbauers Konzept am Schauspielhaus vergleichen, das können wir in der Oper nicht leisten. Wir müssen das kulturelle Erbe, das es im Musiktheater gegeben hat, szenisch in einer Weise aufbereiten, die tatsächlich auf dem Tag ist. Wenn ich etwa Verdis Macbeth nehme, das zu aktualisieren halte ich für sehr schwierig. Eher müßte man zeigen, daß die Beziehungskiste der Macbeths, ohne daß es zum Blutvergießen kommt, hier und heute jeden Tag in tausend Wohnungen genauso vorkommt. Ich würde bei solchen Themen also mehr den Punkt suchen, wo deutlich wird, daß dort Themen abgehandelt werden, die auch heute noch nachdenklich stimmen können. Beim zeitgenössischen Repertoire würde ich dagegen keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Weil es ja Gott sei Dank inzwischen auch ein paar zeitgenössische Opern gibt, die politische Themen haben. Uraufführungen wollen wir auch machen, aber nicht in der ersten Spielzeit, weil nach unserer Meinung bei einem zeitgenössischen Werk das Team, das die Komposition später umsetzen soll, die Entstehung des Werkes begleiten muß. Wir sind schon dabei, zwei Komponisten zu suchen, die wir begleiten möchten.

Es gab ja durchaus mal Zeiten in der Operngeschichte, wo gerade die aktuellen Komponisten die Häuser gefüllt haben. Wenn man heute einen Rihm oder Henze aufführt, kann man ein paar Liebhabervorstellungen machen. Besteht da nicht die Gefahr, daß die Oper ein museales Institut wird?

Wenn man es ganz cool sieht, dann ist Oper eine Kunstform, die sich nicht mit der Gesellschaft weiterentwickelt hat. Die Versuche, die in den letzten 25 bis 30 Jahren gemacht wurden, durch die Art der Inszenierungen die Oper der Welt des Publikums wieder anzunähern, die sind nur teilweise erfolgreich gewesen. Deswegen hoffe ich, daß es uns in den fünf Jahren gelingt, den Block „Hamburger Staatsoper“ etwas zugänglicher zu machen. Ein Versuch von uns, diese Öffnung auch nach außen hin zu demonstrieren, wird darin bestehen, daß wir versuchen wollen, pro Spielzeit zwei Produktionen in der Kampnagelfabrik zu machen. Und zwar mit Werken, die inhaltlich etwas zu unserer Zeit aussagen, den politischen Aspekt deutlich im Sujet haben und die auch für Rezeptionshaltungen eines Publikums geeignet sind, das der Oper heute weit entfernt ist.

Wären Sie denn auch bereit, die Oper hin zu neuem Musiktheater, aber vor allem auch hin zu den neuen Tanztheaterformen zu öffnen?

Zu den Regisseuren, die mit neuen Musiktheaterformen umgehen, kann ich erst einmal bedingungslos ja sagen. Was das Tanztheater angeht, wäre ich sehr froh, wenn ich mit John Neumeier eine breitere Palette im Angebot erarbeiten könnte.

Dazu wäre er bereit?

Ich hoffe es. Ich sehe nicht, daß er da grundsätzlich ablehnend ist. Ich glaube, wenn wir ihn in unsere Bemühungen integrieren, daß das dann durchaus möglich sein wird.

Können Sie sich denn andere Formen des Musiktheaters auch innerhalb der Oper vorstellen?

„Die Hamburger Oper ist eine Festung“

Das Problem, das wir in der Oper haben, ist der Raum selbst. Dieser ist so schwer zu verändern. Bis jetzt haben wir deshalb mehr daran gedacht, in andere Räume zu gehen. Das Gebäude der Hamburgischen Staatsoper ist ja eine Festung mitten in der Stadt, und es wäre natürlich sehr gut, wenn wir das durch andere Darbietungsformen lockern könnten. Mich persönlich jedenfalls hat es immer gestört, daß die Opernhäuser um 18 Uhr die Tür aufmachen und um 23 Uhr wieder zu, und ansonsten könnte man das Gebäude auch versenken.

Ein Punkt etwa, den wir gerne stärker aufgreifen wollen, ist das Barockrepertoire. Wir würden zum Beispiel gerne einen Hamburger Barockkomponisten aufführen, den Johann Adolf Hasse, und da muß man den Leuten die Möglichkeit und die Anregung dazu geben, sich bewegen zu können, wie das beim Barocktheater der Fall war. Dafür braucht man andere Räume.

Die Sprechtheater gehen zuletzt verstärkt den Weg, die Häuser für andere Medien zu öffnen. Videoabende, Lesungen, Podiumsdiskussionen. Wäre das ein denkbarer Weg auch für die Oper?

Dazu sind wir entschlossen. Wir möchten das jedoch nicht so sehr im pädagogischen Sinne versuchen, sondern vielmehr im unterhaltsamen.

Ist die Festung denn bereit für solche Veränderungen?

Es gibt natürlich Probleme und Einwände, aber wir setzen uns ein Maximalprogramm, und wenn wir davon 75 Prozent erfüllen, dann haben wir schon eine Menge erreicht. Wir wollen auf keinen Fall von Beginn an unsere Ansprüche immer weiter runterschrauben.

Läßt sich die Oper in ihrer heutigen ökonomischen und strukturellen Form überhaupt noch weiterführen, sowohl was die Sparwünsche der Politiker, aber auch was die innere Effektivität betrifft?

Ich habe in den vergangenen Jahren in Barcelona die Erfahrung gemacht, daß ein Haus, das mit unzureichenden Mitteln arbeitet, mit einer sehr reduzierten Mannschaft auskommen kann, wenn man aus dieser Situation etwas entwickelt. Die höchst bürokratische Personalverwaltung und die technische Struktur an deutschen Theatern abzubauen oder zu reduzieren ist möglich, wenn es von den Bestimmungen her möglich wird.

Ich glaube, es ist günstig, daß wir jetzt vor der Situation stehen, mit weniger Mitteln das gleiche und möglichst mehr zu produzieren, so daß man zumindest mittelfristig dahin kommt, schlankere Apparate zu haben.

Eine andere Überlegung wäre, auch wenn ich mir damit den Zorn von Herrn Flimm und Herrn Baumbauer aufhalse, daß man zentrale Werkstätten unterhält. Ich glaube, das wird über kurz oder lang ernsthaft betriebswirtschaftlich diskutiert werden müssen.

Gewährleistet das denn dann auch, daß so freiwerdende Mittel der künstlerischen Produktion zugute kommen?

Das müßte dann so sein. Es ist ja jetzt durch die Umstrukturierung zur GmbH so, daß wir das, was wir im Verwaltungsbereich einsparen, in die künstlerische Produktion geben können. Nur, wenn im nächsten Jahr gesagt wird, wir müßten in den nächsten zwei Jahren wieder zehn Millionen einsparen, dann nutzt uns das gar nichts.

Andererseits gefällt mir auch der Satz von einem Wuppertaler Kulturdezernenten: „Subventionen sind Risikoprämien.“ Eigentlich bin ich auch der Meinung, ein Standard-Rigoletto müßte von allein laufen und die Subventionen müßten dafür dasein, daß man den neuen Henze macht. Aber in der Wirklichkeit ist das natürlich anders. Auch der Rigoletto läuft über die Subventionen.

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