: Schöne Spekulationen um den Flughafen
■ Airport-Betrieb in Fuhlsbüttel zum Teil seit 23 Jahren ohne Rechtsgrundlage Von Kai von Appen
Schwerer Schlag für den Hamburger Flughafen: Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die Wirtschaftsbehörde dazu verurteilt, der Flughafen AG zu verbieten, vier neue Stellplätze zur Abfertigung von Flugzeugen in Betrieb zu nehmen. Begründung: Die seit über zwei Jahrzehnten betriebene Modernisierung des Airports erfolgte ohne das notwendige Planfeststellungsverfahren. Im Klartext: Teile des Flughafens werden seit 1972 illegal betrieben.
Das OVG folgte damit in einem Eilverfahren der Anklage von zwei Anwohnern, die seit Jahren gegen die Lärmbelästigung aufgrund steigender Flugbewegungen vorgehen. OVG-Sprecher Jochen Pradel: „Es ist keine Entscheidung in der Hauptsache, aber eine Tendenz ist natürlich erkennbar.“
Durch die Einstweilige Verfügung solle „abgewendet“ werden, daß durch weitere Abfertigungsplätze der Luftverkehr nochmals zunehme und somit eine weitere Lärmbelästigung für die AnwohnerInnen eintrete. Durch eine Inbetriebnahme der vier Abfertigungsplätze würden eventuell „vollendete und schwer rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen“, so das OVG. „Die Interessen des Betriebes werden hingegen nicht unzumutbar beeinträchtigt, da die inzwischen fertiggestellten Abfertigungsplätze noch nicht in den Flugbetrieb eingebunden sind.“
Aber damit nicht genug: Die Entscheidung der Richter könnte auch auf ein Parallelverfahren, das noch in der Wirtschaftsbehörde anhängig ist, „präjudizierend“ wirken. In diesem fordern Anwohner, wie Jochen Pradel erläuterte, eine ganze Palette an Maßnahmen – bis hin zu Teilstillegungen –, um die Lärmbelastung durch Starts und Landungen einzudämmen. Das OVG kommt nämlich zu dem Schluß, daß der 1962 ergangene Planfeststellungsbeschluß den ab 1972 erfolgten Bau der „Start- und Landebahn 2“ nicht decke und jeglicher luftverkehrsrechtlicher Grundlage entbehre. Durch die neuerliche Änderung des Luftverkehrsgesetzes habe sich dieser „Verstoß noch intensiviert“. Zudem sind in Fuhlsbüttel seit 1972 die Vorfeldfläche zum Abstellen und Abfertigen der Jets um 80.000 Quadratmeter erweitert sowie eine zusätzliche Rollbahn gebaut worden, um das seinerzeit auf 114.000 Flugbewegungen und fünf Millionen Passagiere prognostizierte Verkehrsaufkommen zu bewältigen. 1993 wurden 142.276 Flugbewegungen registriert.
Durch die OVG-Entscheidung ist die Wirtschaftsbehörde laut Pradel nun zum „polizeilichen Einschreiten“ verpflichtet. Was für weitreichende Konsequenzen der Richterspruch für den Flughafen haben wird, ist noch unklar. Pradel: „Das ist das Schöne an Spekulationen.“ Die behördlichen Maßnahmen könnten von Teilstillegungen und Reduzierungen bis zur Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens reichen. Pradel: „Die Wirtschaftsbehörde unterliegt der Verpflichtung einer ordnungsgemäßen Ermessensauslegung.“ Das OVG werde dann prüfen, ob das Ermessen richtig angewandt wurde. Pradel einschränkend: „Daß die Wirtschaftsbehörde den Flughafen stilllegt, halte ich für unwahrscheinlich.“
Die Wirtschaftsbehörde nahm gestern den OVG-Spruch mit verdeckter Ignoranz auf. Behördensprecher Wolfgang Becker: „Der Luftverkehr kann wie bisher weiterlaufen.“ Die Stadt prüfe zur Zeit mögliche Schritte zur Sicherung der Nutzung der vier gesperrten Abfertigungsplätze. Zum Planfeststellungs-Rüffel: „Die Ausführungen des OVG müssen einer eingehenden rechtlichen Bewertung unterzogen werden“, so Becker, „Die Wirtschaftsbehörde hat dazu die notwendigen Arbeiten eingeleitet und wird die Ergebnisse in das noch durchzuführende Hauptverfahren einbringen.“
CDU-Verkehrs-Spezi Berndt Röder hingegen forderte „ein Ende der Mogelei“, verlangte vom Senat, unverzüglich das Planfeststel-lungsverfahren nachzuholen und stellte – nicht zum erstenmal – den citynahen Airport insgesamt in Frage: „Ich habe Zweifel, daß dabei für den Standort Fuhlsbüttel die Umweltverträglichkeit nachgewiesen werden kann.“
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