piwik no script img

Wilde Kerle wissen keinen Weg

Der „Tanz-Winter“ im Hebbel-Theater begann mit „Opuscules“ von Michèle Bokanowski. Höhepunkt in diesem Jahr: Anne Marie de Keersmaekers „FASE“. Eine Vorschau  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Die Bühne präsentiert sich mir zweigeteilt an diesem Abend im Hebbel-Theater. „Opuscules“ wird gegeben, zwei Tanzstücke des Franzosen Michèle Bokanowski, dem die Ehre zuteil wird, mit seinen Choreographien den diesjährigen „Tanz-Winter“ zu eröffnen. Auf der einen Bühnenseite sitzen aufgereiht die Tänzer. Mit ausdrucksstark ausdruckslosen Mienen blicken sie auf die andere Seite. Aber die ist leer. Und in der Mitte der riesige schwarze Kopf meines Vordermanns. Wenn ich nur wüßte, was los ist. Geduld muß man haben.

Zehn Minuten später stellt sich die Frage nicht mehr. Der Fall ist gelöst: Die Tänzer brauchen keinen Grund für ihr stumpfes Elend. Sie sind so, weil die Welt schlecht ist und weil ihr Choreograph seine Tennessee-Williams-Lektüre nicht verkraftet hat. Es handelt sich hier um „die Leidensgewalt Gefolterter, die mörderischen Schmerzen bei lebendigem Leibe“. Entsprechend schlimm geht es zu. Hysterisch zucken die Leiber, ritsch, ratsch befummelt man sich selbst, Kleid und Gesicht verrutschen und da, ein lautes Klatschen, ein Schlag auf den eigenen Körper, der es in sich hat.

Später kommen wilde Kerle in bunten Masken und tanzen mit einem Mädchen im weißen Kleid wilde, stampfende Tänze. Eine Kindheitsreminiszenz. Die papiernen Masken wirken wie von Siebenjährigen angefertigt und, kaum haben die Tänzer sie vom Gesicht gezogen, liegen sie sich lachend in den Armen. Das Böse: Nur ein schlechter Traum. Die Wende zum Guten ist schön anzusehen, doch sie kommt zu überraschend. Das Wort Dramaturgie scheint Michèle Bokanowski nicht zu kennen: Sowenig wie einen Weg zum Schmerz, sowenig weiß er einen zum Glück.

Darunter leidet auch der zweite, von den Bilderwelten Edward Hoppers inspirierte und sehr viel überzeugendere Teil des Abends. Auch hier präsentiert Bokanowski, der durchaus über einen Sinn für szenische Bilder verfügt, diese auf so unintelligent zusammenhangslose Weise, daß einem der Zugang verschlossen bleibt. Kein guter Auftakt für den „Tanz-Winter“. Zweifellos: Es kann nur besser werden.

Um den nächsten Gast braucht man sich nicht zu sorgen. Schon lange hat man auf ihren Berlin-Besuch gewartet: Anne Teresa de Keersmaeker zeigt, nach sechsjähriger Berlin-Abstinenz, mit ihrer Compagnie Rosas „FASE“, einen Meilenstein im Schaffen der Choreographin. Uraufgeführt im März 1982, gelang Keersmaeker mit diesem Stück der internationale Durchbruch. Heute gehört „FASE“ zu den wenigen Arbeiten, in denen sie selbst noch auf der Bühne zu sehen ist.

Wer sonst noch kommt: Susanne Linke zum Beispiel, die es wirklich schwer hat, seit sie vom Solotanz zur Gruppenchoreographie wechselte. Jahrelang ließ der nordrhein-westfälische Kultursenat sie am langen Arm verhungern und, kaum hatte sie das Glück, am Bremer Schauspielhaus endlich angemessen unterzukommen, soll das dortige Tanztheater aus Kostengründen weggespart werden. Nach Berlin kommen Susanne Linke und ihre Compagnie mit ihren jüngst in Bremen uraufgeführten „Hamletszenen“. Ein vom Tanzkritiker der Zeit hochgelobtes, vom Kritiker der FAZ verrissenes Stück. Man komme und sehe selbst.

Remote Control, die sich im vergangenen „Tanz im August“ hinter der Bühne herumtrieben, werden diesmal vor größerem Publikum ihre wilden Scherze über Realität und Fiktion präsentieren. Wieder wird es um ein Musical gehen, wieder wird es nie zu einer Aufführung kommen. „Planet without Love“ heißt das Stück im Stück, das „Daniel and the Dancers“ proben.

Über die Koproduktion des Hebbel-Theaters mit der Komischen Oper wird an gleicher Stelle noch ausführlich gesprochen werden. Nur soviel an dieser Stelle: Choreographiert haben Gesc Gelabert (in Berlin schon lange kein Unbekannter mehr), Vincente Saez und Juan Carlos Garcia, den man in Berlin vor zwei Jahren mit seiner Compagnie Lanomia Imperial sehen konnte.

Krönender als der Auftakt wird der Abschluß werden. Les Carnets Bagouet zeigen „Assai“, ein Stück des verstorbenen französischen Choreographen Dominique Bagouet. Den Verlust ihres führenden Choreographen hat die französische Tanzszene nach Ansicht vieler nur schwer verkraftet. Bagouet war der erste moderne Choreograph, der mit seiner eigenen Compagnie auf einer französischen Opernbühne auftrat und euphorisch gefeiert wurde. Er starb vor drei Jahren an Aids, zwei Tage vor dem Gastspiel seiner Compagnie in Berlin. „Assai“ ist eine postume Neueinstudierung. So gut wie das Original soll sie nicht sein, aber eine der wenigen Chancen, noch einmal eine Arbeit des Meisters vor Augen zu bekommen.

„FASE“. Bis Mo., 19. Februar

„Daniel and the Dancers“, 1. bis 3. März

„Hamletszenen“, 7. bis 10. März

„Assai“, 14./15.März.

Beginn jeweils 20 Uhr.

Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen