Straßenbauer rutschen auf Schnecken aus

■ Seltene Schneckenart könnte die Umgehungsstraße bei Newbury verhindern

Dublin (taz) – Dem britischen Straßenbauamt bleibt nichts erspart. Da hatte man private Sicherheitsfirmen angeheuert, obskure Gesetze ausgegraben und Gerichtsvollzieher losgeschickt, um die UmweltschützerInnen zu vertreiben, und nun macht womöglich eine winzige Schnecke der umstrittenen Umgehungsstraße bei Newbury den Garaus. In dem Gebiet, das durch die zwölf Kilometer lange Strecke weitgehend zerstört würde, lebt eine der seltensten, kleinsten und empfindlichsten Schneckenarten Europas: die Vertigo Moulinsiana. Die nur drei Millimeter große Schnecke gehört zu den 116 Arten, die auf der amtlichen britischen Liste der am meisten gefährdeten Tiere stehen. Außerdem fällt die Desmoulin- Schnecke, wie sie umgangssprachlich heißt, auch unter die Direktive der Europäischen Kommission, die möglicherweise sogar eine Handhabe bietet, die Gegend zu einem Europäischen Naturschutzgebiet zu erklären.

Ein unabhängiger Wissenschaftler, der im Auftrag der Firma „English Nature“ forschte, spürte die Schnecke an 19 verschiedenen Stellen im Marschgebiet der Flüsse Kennet und Lambourn auf, die von der Umgehungsstraße überquert werden müssen. Ein Sprecher von „English Nature“, die die Regierung in Umweltfragen berät, bestritt, daß die Schneckenart auch auf der geplanten Trasse gefunden wurde, mußte aber einräumen, daß man dort gar nicht gesucht habe.

Die Schnecken hatten der Baufirma gerade noch gefehlt. Aufgrund der Proteste ist sie mit den Arbeiten an dem Hundert-Millionen-Pfund-Projekt bisher kaum vorangekommen. Von den geschätzten 500 Angestellten der privaten Sicherheitsfirma „Reliance Security“ haben sich schon eine ganze Reihe abgesetzt; manche sollen sogar die Fronten gewechselt haben und jetzt bei den DemonstrantInnen wohnen. Einige berichteten, daß man sie bei der Ausbildung angestachelt habe, brutal gegen die UmweltschützerInnen vorzugehen.

Die haben sich seit dem Sommer auf die Schlacht um die Straße vorbereitet. Entlang der geplanten Strecke sind ein Dutzend Zeltlager entstanden, mehr als 50 Baumhäuser errichtet sowie zahlreiche Tunnel. Die Zeit läuft für sie: Ab Mitte März darf laut EU-Richtlinie nicht mehr gefällt werden, weil dann die Vogelbrutsaison beginnt.

Sind es in Newbury Schnecken und Vögel, so waren es in Wales rote Waldameisen, die Straßenbauarbeiten sechs Jahre lang verzögert haben. Die zweitgrößte walisische Kolonie der Tierchen liegt ausgerechnet bei Machynlleth an der A470, der wichtigsten Verbindungsstraße zwischen den englischen Midlands und den Ferienorten an der walisischen Küste. Die Straße ist 1990 auf einer Länge von knapp einem Kilometer abgesackt, so daß man sie auf eine Spur verengte. Der Bezirksrat hat sich jetzt mit der Landschaftsbehörde geeinigt, zwölf der 29 Ameisennester zu zerstören. Man geht davon aus, daß die Tiere einfach an ruhigere Orte umziehen werden. Der Bauer Tom Breese, dem das Land neben der Straße gehört, kommentierte: „Ich wußte schon als Kind, daß es hier Ameisen gibt. Aber heutzutage schenkt man Tieren mehr Aufmerksamkeit als Menschen.“ Ralf Sotscheck