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Menschenquäler an der Waterkant

Eine ganze Region zittert mit den Werftarbeitern zwischen Hiobsbotschaften und Beschwichtigungen. Für heute kündigt der Vorstand den Showdown bei der Vulkan Verbund AG an  ■ Aus Bremen Dirk Asendorpf

„Wenn der Vorstand am Montag verkündet: ,Wir gehen in Konkurs‘, dann besetzen wir die Werft.“ Nicht nur bei Hosso Kulla, dem Betriebsratsvorsitzenden der Bremer Vulkan-Werft, lagen am Wochenende die Nerven blank. Seitdem die Spitze des angeschlagenen Schiffbau-, Elektronik- und Maschinenbaukonzerns „Bremer Vulkan Verbund“ (BVV) am Freitag unter Ankündigung einer „wichtigen Mitteilung“ für diese Woche den Aktienkurs aussetzen ließ, zittert eine ganze Region um 23.000 Arbeitsplätze.

Fast alle 15 Firmen im Vulkan- Konzern seien defizitär, berichtete am Sonntag das Wirtschaftsmagazin Capital. Darunter sieben der acht Werften. Für 1995 müsse mit einem Verlust von fast 500 Millionen Mark gerechnet werden. Der Konzern solle deshalb zerlegt werden. Kein Wunder, daß sich die beiden Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und Ulrich Nölle (CDU) gestern mal wieder zum Krisengespräch trafen.

Hektisch hatte Bremens Finanzsenator Nölle in den letzten Tagen versucht, die Möglichkeiten eines Vergleichs auszuloten, mit dem der drohende Konkurs wegen Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden könnte. Doch was der Bremer Regierungsspitze dabei bis gestern ebenso fehlte wie dem Betriebsrat, das waren Informationen über das, was die Konzernspitze heute eigentlich verkünden will. Nölle konnte noch nicht einmal schätzen, wie teuer ein Konkurs das Land schlimmstenfalls zu stehen kommt. Fest steht aber, daß Bremen mit rund 700 Millionen Mark für verschiedene Schiffsbauten gebürgt hat.

Weder das Land Bremen noch Mecklenburg-Vorpommern, wo der Vulkan-Verbund inzwischen jeweils rund 9.000 Arbeitsplätze hat, haben einen direkten Zugang zur Konzernspitze. Lediglich ein Bankenkonsortium unter Führung der Commerzbank weiß genau, wie es um den angeschlagenen Industrie-Riesen steht. Die Banken spielen eine Doppelrolle im Konzern. Einerseits repräsentieren sie den Löwenanteil seines von vielen Kleinanlegern zusammengetragenen Aktienkapitals in der stolzen Höhe von 730 Millionen Mark. Zum anderen ist der Vulkan ihr Gläubiger für Kredite in Höhe von über 1,4 Milliarden Mark.

Einen Großaktionär gibt es im Vulkan dagegen ebensowenig wie eine Staatsbeteiligung. Seine letzten 19 Prozent hat das Land Bremen vor zwei Jahren verkauft. Bremer Politiker, die den Verkauf damals beschlossen, bereuen inzwischen diese Entscheidung. Sie hatten damals darauf vertraut, daß Vulkan-Konzernchef Friedrich Hennemann die Interessen des Landes Bremen auch ohne Staatsbeteiligung auf Dauer wahren würde. Schließlich war er früher einmal zweiter Mann im Bremer Wirtschaftsressort gewesen. Doch immer schneller entfernte sich Hennemann von seiner Herkunft aus dem engen Kreis der SPD-regierten Bremer Politik.

Geholfen hat dabei vor allem die Treuhandanstalt. Mit rund 850 Millionen Mark förderte sie die Übernahme der ostdeutschen Werften durch den Vulkan-Verbund. Aus dem Zusammenschluß der wenigen nach der Krise von Anfang der 80er Jahre noch übriggebliebenen Bremer Schiffbaubetriebe mit gut 5.000 Arbeitsplätzen war plötzlich einer der großen deutsche Konzerne mit 23.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von sechs Milliarden Mark geworden. Mit Maschinenbauunternehmen auch aus Nordrhein- Westfalen und der Rüstungsfirma Krupp-Altlas-Elektronik komplettierte Hennemann seinen Mischkonzern.

Solange durch die Subventionen des Bundes für die Modernisierung der Ost- Werften ständig neues Geld nachfloß, ging alles gut, und Hennemann konnte den Aktionären Anfang des vergangenen Jahres sogar zum ersten Mal seit 17 Jahren eine Dividende in Aussicht stellen. Doch im September mußte die Vulkan plötzlich einen 300-Millionen-Mark-Kredit für die Beseitigung eines Liquiditätsengpasses aufnehmen.

Hennemann selbst war von der neuen Lage offenbar überrascht worden, die Banken verloren das Vertrauen und zwangen Hennemann am 11. September zum Rücktritt. Der erfolgte dann tatsächlich aber erst zwei Monate später, da die Banken keinen geeigneten Nachfolger finden konnten. Erst am 14. Dezember wählte der Aufsichtsrat mit Udo Wagner den neuen Konzernchef. Doch erst ab heute haben ihm die Banken die volle Verantwortung übertragen.

Ob der Vulkan-Verbund tatsächlich schon im letzten September in einer schweren Krise war, oder die aktuelle Notlage erst durch die öffentliche Diskussion darüber entstanden ist, weiß zur Zeit niemand. Sicher ist nur, daß inzwischen der Konkurs die wahrscheinlichste Zukunft ist. Denn mit Schiffbauten selber ist angesichts der Konkurrenz auf dem Weltmarkt kein Geld zu verdienen. Im Gegenteil: Vulkan fährt mit dem Bau zweier Kreuzfahrtschiffe für die italienische Costa-Reederei bei einem Auftragswert von 1,2 Milliarden Mark 300 Millionen Mark Verlust ein.

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