: Was heißt unanständig?
■ US-Bundesrichter sollen Gesetz zur Internet-Zensur grundlegend prüfen
San Francisco (taz) – Ein Bundesgericht in Philadelphia hat am Donnerstag eine Anordnung außer Kraft gesetzt, die unter Strafandrohung die Verbreitung „unanständigen“ Materials über Computernetze verbietet, zu denen auch Minderjährige Zugang haben. Das Gericht entschied, daß das Wort „unanständig“ nicht definiert und die Regelung daher für die Praxis zu vage sei. Die angefochtene Zensurbestimmung ist Teil des neuen US-Telekommunikationsgesetzes, dem Präsident Clinton Anfang Februar seinen Segen erteilt hatte. Sie soll verhindern, daß „anstößige“ Bilder oder Texte übers Netz auf die Computer-Bildschirme der US-Kids gelangen. Mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und 100.000 Dollar Bußgeld soll bestraft werden, wer „Anstößiges“ im Internet so plaziert, daß es für Minderjährige zugänglich ist.
Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Gesetzespakets hatte ein Bündnis von Bürgerrechtsgruppen aus Sorge um die Redefreiheit einen Prozeß angestrengt, um die Anordnung vorläufig vom Tisch zu bringen. Diesem Anliegen kam der Richterspruch aus Philadelphia nur teilweise nach. Zwar beanstandete Richter Ronald L. Buckwalter im Sinne der Kläger, daß die vage Formulierung „viele vernünftige Menschen in Unschlüssigkeit darüber läßt, was nach diesem Gesetz verboten ist und was nicht“. Gleichzeitig bestätigte er die Gültigkeit einer anderen Passage im Gesetzestext, wonach es ein Verbrechen ist, das Material in einer Weise zu verbreiten, die nach gegenwärtigem Allgemeinverständnis „offensichtlich anstößig“ ist.
Nun soll ein dreiköpfiger Bundesrichterausschuß die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überprüfen. Das Ergebnis „wird die Zukunft des Internet bestimmen“, urteilte Bürgerrechtler David Soel. Er zeigte sich optimistisch, daß eine weitere Prozeßführung in dieser Sache beweisen werde, daß die Anordnung in ihrer Gesamtheit einer Verfassungsprüfung nicht standhalte. Bis zum Urteil des Ausschusses wird die „Anstößigkeitsklausel“ nach Angaben des Justizministeriums keine Anwendung finden. Gitta Grashorn
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