Keine Strafmilderung

■ Im August des vergangenen Jahres vergewaltigte ein 25jähriger Mann eine Rentnerin / Das Gericht verurteilte ihn gestern zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft für Vergewaltiger

„Das kann sich keine Gesellschaft leisten, so einen Mann frei rumlaufen zu lassen.“ Der Vorsitzende Richter wandte sich noch einmal mahnend an den eben verurteilten jungen Mann. „Wir wollen nun nicht, daß Sie auf Dauer im Gefängnis verschwinden. Sie wissen ja, daß Sie bei guter Führung nach zwei Dritteln der Strafe rauskommen können. Aber ich warne Sie – wenn das so weiterläuft, dann landen Sie in der Psychiatrie.“

Der junge Mann auf der Anklagebank sah dem Richter zwar ins Gesicht, zeigte aber keinerlei Regung. Das Gericht hatte ihn soeben der Vergewaltigung in zwei Fällen, der sexuellen Nötigung in zwei Fällen sowie der Körperverletzung für schuldig befunden. Das Urteil: fünf Jahre und sechs Monate. „Wir können Ihnen keine Strafminderung zuerkennen“, betonte der Richter immer wieder. „Sie haben mehrere Straftaten an einer Person begangen – man muß doch sehen, was Sie diesen Leuten angetan haben.“

In nüchternen Fakten liest sich der Tathergang wie folgt: Im August des vergangenen Jahres war der 25-jährige um sieben Uhr morgens in die Wohnung eines Rentnerehepaares eingedrungen und hatte die 63-jährige Frau, die allein zuhause war, geschlagen, sie aufs Bett gedrückt, zweimal zum Oralverkehr, zweimal zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Die Frau wehrte sich nach Kräften, sie bekam ein altes Plätteisen zu fassen und versetzte dem Täter einen Schlag auf den Kopf, worauf dieser von ihr abließ und flüchtete. Wenig später wurde er gestellt.

„Ich will's dabei belassen“, so der Richter. „Doch all dies bringt nicht zum Ausdruck, was wirklich passiert ist.“ Wieder beugte er sich nach vorne und sprach eindringlich zu dem Angeklagten: „Wir haben ja versucht, Ihre schwierige Lebensphase im Jahre 1995 zu berücksichtigen.“ Er zählte noch einmal auf. Der junge Mann habe keinen rechten Kontakt zu seinen Eltern gefunden, insbesondere das Verhältnis zur Mutter sei schwierig gewesen. Die Freundin, mit der er eine gemeinsame Tochter habe, wollte sich von ihm trennen. Er selbst habe eine Ausbildungsmaßnahme abgebrochen und kein Geld besessen.

All dies, auch seine Jugend, habe für ihn gesprochen, bestätigte der Richter dem Angeklagten. „Aber wieviele Bürgerinnen und Bürger sind auch arbeitslos und in schwierigen Situationen und gehen ohne Straftaten durchs Leben!“ Der Richter wurde hartnäckig. „Das muß man doch auch mal sagen.“

Nicht in kühler Amtssprache, sondern in persönlichem ja fast väterlichem Ton begründete der Jurist dem Straftäter das Urteil. Man habe ihm zugute gehalten, daß er die Tat nach langem Schweigen letztlich doch eingeräumt und sich entschuldigt habe. Der 25jährige hatte während der beiden vorausgegangenen Prozesstage immer wieder beteuert, er könne sich nicht erinnern, habe Alkohol getrunken und Hasch geraucht. „Wir haben Ihr Geständnis berücksichtigt, obwohl wir fest davon überzeugt sind, daß Sie noch alles wissen – so betrunken und bekifft waren Sie nicht“, betonte der Richter. „Niemand möchte hier Racheengel sein“, fuhr er fort. „Wir versuchen, objektiv zu sein. Aber wenn man mal versucht, sich als Mann in diese Frau hineinzuversetzen – morgens, wenn man sich total sicher fühlt – in der eigenen Wohnung... Sie haben den Lebensabend dieser Leute gestört. Diese Leute haben Angst in ihrer eigenen Wohnung!“ Und weiter sprach der Richter auf den jungen Mann ein: Er hätte gewarnt sein müssen. Schon einmal sei gegen ihn ein Verfahren mit ähnlichen Vorwürfen anhängig gewesen, das dann eingestellt worden war. „Doch Ihr Gejammere: ,Im Gefängnis werde ich viel schlechter' – das hat uns nun wirklich nicht überzeugt. Sie müssen unbedingt in der Haft in Therapie gehen!“

Nach diesem halbstündigen Vortrag wurde der Straftäter entlassen. Auch sein Opfer, die 63jährige Rentnerin, war zu der Urteilsverkündung erschienen, hatte aufrecht und äußerlich regungslos in ihrem Stuhl gesessen und zugehört. Ein paar Mal hatte sie während des Prozeßverlaufs erzählen müssen, wie sie von dem jungen Mann vergewaltigt worden war. Noch heute leidet sie an den Folgen der Tat, doch sie hatte alles detailgetreu berichtet. Ihr Mann hatte während seiner Zeugenvernehmung mehrmals die Fassung verloren. sip